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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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glaubte Tobias zu erkennen, dass er im Widerspruch gelebt hatte. Als er sich am ersten
     Morgen nach dem Telefonat mit Emily an seinen Schreibtisch im
Vorn
setzte, konnte er |182| es etwa nicht mehr akzeptieren, dass, wie immer seit zwei Jahren, eine Volvic-Flasche neben dem Computer stand. Hatte er vor
     seiner Zeit in der Redaktion nicht immer Wasser mit Kohlensäure getrunken? Tobias dachte daran, wie er bei seinen ersten Besuchen
     im
Vorn
die eleganten blauen Volvic-Plastikflaschen, eine bis dahin unbekannte Wassersorte für ihn, auf den Schreibtischen von Carla
     und Anne gesehen hatte; wie ihm diese Flaschen, edler und teurer als die gewöhnlichen Marken, als ein weiteres Zeichen für
     die Souveränität und Stilsicherheit der Redakteure erschienen waren. Als er dann zum ersten Mal als Urlaubsvertretung aushalf,
     kaufte er sich am Kiosk anfangs noch ein einfaches Mineralwasser mit Kohlensäure, doch schon am dritten oder vierten Tag stieg
     er auch auf Volvic um. Die weißen Glasflaschen mit den Allerweltsetiketten kamen ihm plötzlich hässlich vor, das kohlensäurehaltige
     Wasser wie etwas allzu Grobes, fast Plumpes, das nicht in diese Umgebung passte. Nun aber stellte die Flasche auf dem Schreibtisch
     Tobias vor Probleme. War das wirklich er, der sich damals für Volvic entschieden hatte?
     
    Das beiläufigste Gesprächsthema, der unscheinbarste Gegenstand konnte Tobias in große Unruhe versetzen. In den Tagen darauf
     fuhr er gelegentlich in seine Wohnung, um noch ein paar weitere Sachen in Stefans Haus mitzunehmen und die Post durchzugehen.
     In der Küche fiel sein Blick einmal auf das Regal mit den Milchkaffeeschalen. Dieses Bild war für ihn kaum auszuhalten. In
     den sieben Jahren mit Emily hatten die bauchigen Schalen, die Stunden des gemeinsamen Milchkaffeetrinkens, |183| immer eine besondere Bedeutung für sie gehabt (und in der Form der Schalen, in der behutsamen Geste, mit der man sie in der
     gewölbten Hand hielt, schien ihm jetzt das ganze Glück ihres Zusammenseins aufgehoben zu sein). Lange Zeit waren sie auch
     der einzige Teil der Küchenausstattung, den er wirklich sorgsam behandelte. Teller, Gläser und Tassen hatte er nach dem Einzug
     in die erste eigene Wohnung von seinen Eltern übernommen, und dieses Geschirr, in den unterschiedlichsten Formen und Mustern,
     stapelte sich ungeordnet und ein wenig lieblos im Küchenregal. Nur die stetig anwachsende Kollektion von Milchkaffeeschalen
     empfand er als Eigenes, als erste Bestandteile eines selbständigen Haushalts; die Schalen hatten einen besonderen Platz, und
     beim Einräumen nach dem Abwasch war es ihm wichtig, dass sie sich in der Ordnung des Regals nicht mit den gewöhnlichen Müsli-
     oder Salatschüsseln vermischten. Wenn Emily und Tobias in der ersten Zeit in Urlaub fuhren oder durch die Straßen der Münchner
     Innenstadt gingen, hielten sie auch immer nach neuen Milchkaffeeschalen Ausschau. Auf diese Weise kam über die Jahre eine
     Sammlung von fünfzehn oder zwanzig Tassen zusammen, und noch jetzt, beim Blick auf das Küchenbuffet seiner neuen Wohnung,
     konnte er sich bei den meisten Schalen an die Umstände des Einkaufs erinnern: zwei hellblau-weiß gestreifte mit geriffelter
     Oberfläche, wie sie häufig in alten französischen Filmen zu sehen sind; eine weinrote und eine schwarze mit weißer Innenseite,
     entdeckt in einem Möbelladen, kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten; zwei weiß-grau gesprenkelte aus Paris; dann sogar
     zwei bunte Schalen aus Los Angeles, handbemalt, aus einer |184| Bäckerei in der Main Street in Venice, die sie vor der Abreise mehrfach in Umschlagpapier einwickelten, damit sie den Flug
     zurück nach Deutschland auch gut überstanden. Als Tobias sich damals die ersten Male mit Robert Veith traf, um in einem Café
     in der Nähe des
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über den Mädchennamen-Artikel zu sprechen, stellte sich heraus, dass Milchkaffeeschalen für Robert eine besondere Zielscheibe
     der Verachtung abgaben. »Schon bisschen peinlich, diese Schalen, findest du nicht auch?«, sagte er, als die Bedienung in dem
     Café ein Tablett vorbeitrug. Und er setzte zu einem kurzen Vortrag darüber an, dass die Schalen für ein bestimmtes Milieu
     stünden, für die studentischen Dauerfrühstücker, die nichts auf die Reihe kriegten, außer in Cafés zu sitzen und Pläne zu
     schmieden. Kurze Zeit später holte Robert einmal Tobias von zu Hause ab, und als er ein paar gebrauchte Milchkaffeeschalen
     in der Spüle

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