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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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stehen sah, sagte er ein wenig abfällig: »Ach echt, du trinkst noch aus solchen Dingern?« Irgendwann musste Tobias
     begonnen haben – er marterte sein Gedächtnis, um den Moment genau zu rekonstruieren –, diese Abneigung zu teilen; auch für
     ihn standen diese Schalen jetzt mehr und mehr für eine fragwürdige Umgebung, und wenn er tagsüber einen Kaffee trinken ging,
     bestellte er nur noch Espresso oder Cappuccino in gewöhnlichen Tassen. Einzig mit Emily behielt er die alte Angewohnheit bei,
     liebte die langen Frühstücke mit ihr (der Widerspruch fiel ihm erst jetzt auf), und Tobias durchfuhr mit Schaudern die Erinnerung
     an einen Montagmorgen, vielleicht ein halbes Jahr vor seiner Begegnung mit Sarah, als Emily beim Lesen der neuen
Vorn -
Ausgabe auf einen despektierlichen Satz von Tobias über Milchkaffee |185| in Schalen stieß. »Tobi, was soll denn das, wir trinken doch auch seit Jahren aus Milchkaffeeschalen«, hatte sie damals irritiert
     gesagt. »Machst du dich vielleicht lustig über uns?«
     
    Einmal, als Tobias wieder kurz bei sich zu Hause war, entdeckte er in seinem Briefkasten die Vorabexemplare der neuen CDs
     von Fugazi und Tortoise, den beiden Bands, die er am meisten mit Emily verband. Auf dem Radiorecorder in der Küche wollte
     er die CDs, auf deren Erscheinen er schon monatelang gespannt gewesen war, kurz durchlaufen lassen, bevor er wieder zu Stefan
     und Regina aufbrechen würde. Doch ihm war plötzlich die Fähigkeit abhandengekommen, Musik zu hören. So wenig war er sich im
     Klaren darüber,
wer
da hörte, so sehr beschäftigte ihn die Gewissheit, dass er auch seinen Musikgeschmack an den
Vorn -
Kosmos verraten hatte, dass sein Auffassungsvermögen in diesem Moment wie zweigeteilt schien, als würde jedes seiner Ohren
     für eine der konkurrierenden Welten in ihm stehen. Sein enthusiastischer Tortoise-Artikel im
Vorn
kam ihm in den Sinn, einer der ersten für die Kulturseiten des Magazins, den Robert damals über Tobias’ Kopf hinweg umgeschrieben
     und mit einem distanziert-ironischen Grundton versehen hatte, weil ihm die Band »zu verkopft« war, wie er sagte, »zu
Spex -
mäßig«. Tobias dachte an die leichte Belustigung, die seine Vorliebe für Bands aus der amerikanischen Punk- und Hardcore-Tradition
     ohnehin bei seinen
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Kollegen ausgelöst hatte. Er warf sich vor, dass er seinen eigenen Musikgeschmack immer stärker unterdrückt und ihn gegenüber
     den anderen Redakteuren schließlich fast |186| zur Marotte erklärt hatte. Dass die Musik, die er hörte, seitdem er fünfzehn oder sechszehn war, nicht zu dem Charakter des
     Magazins passte, hatte er irgendwann stillschweigend akzeptiert. In seiner Anfangszeit war es noch manchmal vorgekommen, dass
     er diesen Teil seiner Biografie im
Vorn
unterbringen wollte, mit seinen Artikeln über Undone oder andere Münchner Bands etwa. Als für die Doppelseite in der Mitte
     des Heftes, die meistens aus einem großen Schaubild bestand, einmal eine Geschichte über die schönsten Plattenhüllen der Popgeschichte
     vorbereitet wurde, brachte er die für ihn wichtigste Platte überhaupt in die Redaktion mit, die LP von Rites of Spring mit
     dem Holzschnitt-Cover. Doch als die Redakteure vor dem Schreibtisch von Fanny von Graevenitz standen und die in Frage kommenden
     Platten aussuchten, schauten ihn die anderen nur spöttisch an, als er neben die ganzen Britpop-, Soul- und Hip-Hop-Hüllen
     seine Platte auf den Tisch legte. Die Entscheidung musste gar nicht ausgesprochen werden; die anderen übergingen seinen Vorschlag
     einfach (»Oha, was haben wir denn da?«, sagte nur jemand belustigt) und setzten ihre Auswahl fort. Anne und Dennis hatten
     das Spaßzimmer in der Zwischenzeit ohnehin zur »gitarrenfreien Zone« erklärt. Rasch kam Tobias deshalb, sosehr er auch sonst
     die Themen im Heft mitbestimmte, gar nicht mehr auf die Idee, seine Bands ins Gespräch zu bringen. Er freute sich dagegen,
     wenn er mit den im
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verehrten Platten dieser Zeit, DJ Shadows »Endtroducing«, Kruder & Dorfmeisters »DJ Kicks«, dem ersten Album von Propellerheads
     oder den Britpop-Bands von Robert auch etwas anfangen konnte.
     
    |187| Die Erinnerungs- und Assoziationssplitter prasselten pausenlos auf ihn ein in solchen Momenten; der Grundverrat, den Tobias
     in sich fühlte, vervielfältigte sich in unzählige kleine Widersprüche. Er glaubte, amerikanische an britische Bands verraten
     zu haben, Gitarren an elektronische Musik, die

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