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Vorn

Titel: Vorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Bernard
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zu ertragen ist als
     das Verlassen, weil die Trauer des Verlassenen sich langsam abarbeiten kann an der Entscheidung des anderen, an einer äußeren
     Instanz). In diesen kurzen Momenten des Liebeskummers wegen Sarah registrierte Tobias fast mit einem Lächeln, dass Emily doch
     noch ihr Recht behauptet hatte gegenüber der Rivalin, von der sie ein paar Monate zuvor so mühelos verdrängt worden war.
     
    Er hatte kein Talent zur Trennung, das wurde Tobias in dieser Zeit immer klarer. Einmal erzählte ihm ein neuer Pop-Autor der
     Tageszeitung, mit dem er sich gelegentlich zum Mittagessen traf, dass er nicht mehr mit seiner Freundin zusammen sei. Die
     beiden waren noch länger ein Paar gewesen als Tobias und Emily, fast zehn Jahre, doch sein Bekannter sprach ohne große Trauer
     davon, sagte sogar, dass seine ehemalige Freundin ihm gerade beim Umzug helfen würde: »Komisch, aber wir verstehen uns jetzt
     so gut wie schon lange nicht mehr.« Auf die Frage, warum sie sich dann eigentlich getrennt hätten, zuckte er nur mit den Schultern
     und sagte: »Ich glaube, wir haben uns halt einfach auseinanderentwickelt.« Kein besonderes Unglück war den Worten zu entnehmen,
     und Tobias registrierte dieses souveräne Verhalten einerseits mit Neid, andererseits aber auch fast mit Verachtung. »Auseinanderentwickelt«,
     ja, wahrscheinlich hätte der Befund auch auf Emily und ihn zugetroffen. Aber es war Tobias unmöglich, diese Entwicklung |196| zu akzeptieren. Dass er für Emily nichts mehr empfand: Niemals hätte er so freimütig und beinahe gelassen damit umgehen können
     wie der andere. Stattdessen unterzog er sich seit Wochen einer umfassenden Inquisition seiner selbst, um nach den Gründen
     für diese Übertretung zu fahnden.
     
    Gerade das, was sein Kollege so leichthin als schleichende Entfernung bezeichnete, war für Tobias mit Fragen verbunden, die
     ihn quälten: Was blieb von ihm übrig nach der Trennung? Welchen Anteil hatte Emily an jener Person, die er in den sieben Jahren
     geworden war? Er versuchte sich jetzt ständig in die Zeit vor Emily zurückzuversetzen, um einen Neuanfang zu schaffen, um
     sich »auf sich selbst zu besinnen«, wie die Anweisung in einem Trennungs-Ratgeber hieß, den er sich in einer großen Buchhandlung
     gekauft hatte, verschämt wie einen Porno. Aber wer war dieses Selbst? Er konnte die sieben Jahre ja nicht einfach löschen,
     war nicht mehr einundzwanzig wie damals. Das größte Problem nach einer langen Liebesbeziehung schien ihm nun so etwas wie
     die innere Gütertrennung zwischen den Beteiligten zu sein. Tobias dachte manchmal, dass es gut wäre, zu Beginn eine Art ideellen
     Ehevertrag abzuschließen, um am Ende kein allzu verheerendes Durcheinander zu hinterlassen. So wie ein vermögendes Paar schon
     vor der Heirat die künftige Aufteilung seiner Reichtümer aushandelt, hätten Emily und er eine Vereinbarung über ihre Lebensgeschichten
     treffen sollen: Wem standen jetzt welche Erinnerungen zu? Welche Freunde, Sphären, Orte aus den gemeinsamen Jahren konnte
     man guten Gewissens abspalten, dem anderen überlassen; was |197| dagegen zählte zum eigenen unverbrüchlichen Inventar?
     
    Und er bekam ein wachsames Auge für bevorstehende Trennungen in seiner Umgebung. Auch wenn die Paare nach außen hin noch stabil
     wirkten, ja sogar selbst von ihrem Glück überzeugt waren: Tobias witterte die Gefahr, die etwa davon ausging, dass einer von
     beiden sich unvermittelt in einem neuen Milieu bewegte. Ein
Vorn
- Grafiker hatte kürzlich die Redaktion verlassen und eine Agentur eröffnet, und es stellte sich heraus, dass die Freundin des
     Schlagzeugers, mit dem Tobias und Stefan jetzt manchmal Musik machten, dort arbeitete. Dieses Mädchen, erst vor kurzem nach
     München gezogen, ging ganz in der eleganten Welt des Grafikbüros auf, und Tobias musste sich abends im Proberaum oft anhören,
     wie der Schlagzeuger davon erzählte. Anfangs war er noch froh darüber gewesen, dass seine Freundin in der neuen Stadt schnell
     Fuß gefasst hatte. Doch dann häuften sich bei den Bandproben seine Klagen, dass sie sich auf merkwürdige Art veränderte: »Wisst
     ihr, sie hängt jetzt die ganze Zeit mit diesem Alexis herum und kauft sich ständig neue Kleider, weil sie Angst hat, in der
     Agentur nicht gut genug angezogen zu sein. Und nach Hause kommt sie abends immer erst um neun oder halb zehn, obwohl sie dort
     nur als Aushilfe arbeitet.« Ein, zwei Wochen später tauchte er dann

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