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Vorsaison

Vorsaison

Titel: Vorsaison Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristine Weitzels
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Theke mit Handschlag und stellte mich dann als una
amiga-eine Freundin vor. Ich fand es Wahnsinn, dass selbst unter der Woche
noch so viele Restaurants und Kneipen bis spät in die Nacht geöffnet hatten —
etwas, dass bei uns in Deutschland undenkbar gewesen wäre. Maurice bestellte
für sich einen JB con aqua und einen bocadillo con jamón und für
mich einen café solo . Hunger hatte ich nicht. Whiskey wurde hier aber anscheinend
zu jeder Tages und Nachtzeit getrunken; ob zum Essen, in der Disco, oder zu
Hause.
     
    Damals wusste ich noch nicht, was es
bedeutete Moslem zu sein und dass Maurice, als solcher, eigentlich gar keinen jamón hätte essen — geschweige denn Alkohol hätte trinken dürfen. Aber als ich
Maurice dann später besser kennenlernte, erfuhr ich auch so nach und nach seine
Geschichte. Er hatte fast sein ganzes Leben in Europa verbracht. Aufgewachsen
war er in Paris, bei seiner französischen Mutter. Erst nach ihrem Tod war er im
Alter von 14 Jahren nach Algerien zu seinem Vater geschickt worden. Sein Vater
war Tuareg und dort ein einflussreicher Stammesfürst, der aber selbst ebenfalls
eine westliche Bildung erfahren hatte und in einem Schweizer Internat erzogen
worden war. Danach studierte er in Frankreich und hatte dort auch Maurice‘
Mutter kennengelernt. Zusammen mit ihr war er nach Algerien zurückgekehrt, wo
die beiden heirateten und wo auch Maurice zur Welt kam. Allerdings hatte seine
Mutter sich nicht beim Stamm ihres Mannes, der wohl noch in Zelten lebte,
einleben können. Kurz nach der Geburt von Maurice war sie deshalb mit ihrem
Sohn nach Paris zurückgekehrt, wo die Eltern ihres Mannes ein großes Haus
besaßen. Maurice‘ Vater fing an, zwischen Frankreich und Algerien hin und her
zu pendeln. Doch als Stammesfürst hatte er jede Menge Verpflichtungen und
Maurice sagte, dass er oft monatelang weg gewesen sei. Mit seinem Vater hatte
sich Maurice auch nie so gut verstanden und nach dem Tod seiner Mutter hatte er
sich, genau wie sie damals, auch nicht in der Heimat des Vaters zurechtfinden
können. Deshalb schickte ihn sein Vater schon nach kurzer Zeit ebenfalls auf
ein Schweizer Internat und später hatte Maurice dann in Deutschland studiert. Nach
dem Studium hatte sein Vater jedoch verlangt, dass Maurice zurück nach Hause
kam, aber Maurice weigerte sich. Daraufhin hatte sein Vater ihn verstoßen. Maurice
sagte, er sei zwar Moslem und habe, bedingt durch seine Geburt, einen algerischen
Pass, aber er fühle sich nicht so und lebe auch nicht nach den Traditionen
seines Volkes oder deren Religion. Er sagte, eigentlich seien die Tuareg ein
sehr liberales Volk, aber sein Vater hatte den Standpunkt, weil er in die
Ausbildung und das Studium von Maurice investiert habe, sei Maurice auch
verpflichtet einen Teil davon zurückzubezahlen, indem er seinem Heimatland
diente.
     
    Maurice fühlte sich jedoch als Europäer
und erst viel später begriff ich, wie sehr ihm sein algerischer Pass dabei im
Wege gestanden haben musste. So hatte er auf Grund seiner Nationalität selbst
in Frankreich keine gute Anstellung finden können und seit sein Studentenvisum
abgelaufen war, befand sich Maurice genaugenommen illegal in Europa. Ich konnte
so gesehen jederzeit wieder zurückkehren nach Deutschland. Maurice konnte
nirgendwo hin. Würde man ihn abschieben, würde man ihn immer nach Algerien
abschieben und dieses Land war Maurice ungefähr genauso fremd wie mir. Damals
wusste ich auch noch nicht, dass man in Spanien und auch in Frankreich Marokkaner
und Algerier abfällig als Moros bezeichnete. Moros wurden überall
im Land diskriminiert. Sie kamen in keine Discothek, noch nicht mal ins „Moby’s“
und auch in den Bodegas wurde ihnen im Allgemeinen der Zugang verwehrt. Sie
arbeiteten als einfache Arbeiter teilweise für 100 oder 200 Peseten am Tag auf
dem Bau oder den Feldern und hausten oft in großen Gruppen in Häusern außerhalb
der Ortschaften, die eigentlich abrissreif waren. Und genau wie wir restlichen
Ausländer waren natürlich auch sie illegal im Land. Auch für sie galt, dass
sie, solange sie sich nichts zu Schulden kommen ließen, geduldet wurden. Zwar
mochten die Spanier die Moros nicht, aber niemand sonst wäre bereit
gewesen, ihre Arbeit zu verrichten. Noch dazu für so wenig Geld! Maurice war so
gesehen eine Ausnahme und wenn er mal als Moro bezeichnet wurde, was
übersetzt Mohr bedeutet, so eher spaßeshalber. Denn erstens war Maurice
überall sehr beliebt und zweitens sah er auch

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