Vorsicht, frisch verliebt
so modern. Der Bronzekopf mit den kurzen Haaren und dem lieblichen Gesicht hätte einer jungen Frau gehören können, doch der winzige Penis gab die Figur als die von einem Jungen preis. Er stemmte die langen, dünnen Arme in die Seiten, und die Beine wiesen in Höhe der Knie zwei kleine Verdickungen auf. Die Füße, dachte Isabel, waren im Verhältnis zum Kopf ein bisschen groß.
»Es ist ungewöhnlich, dass die Statue nackt ist«, erläuterte Ren. »Es gibt nicht einmal ein Schmuckstück, an dem man den Stand des Jungen hätte erkennen können, obgleich die soziale Stellung eines Menschen für die Etrusker angeblich sehr bedeutsam war. Wahrscheinlich ist es eine Weihegabe.«
»Sie ist wirklich außergewöhnlich.«
»Ein Bauer hat sie im neunzehnten Jahrhundert beim Pflügen gefunden und als Schürhaken benutzt, bevor endlich jemand sie als das erkannte, was sie ist.«
»Man stelle sich ein Jahrhundert vor, in dem solche Dinge beim Pflügen gefunden werden können!«
»Überall in der Toskana sind in den Häusern etruskische und römische Artefakte in irgendwelchen Schränken versteckt. Nach ein paar Gläsern Grappa holt der Eigentümer sie, wenn man ihn darum bittet, für gewöhnlich hervor.«
»Haben Sie derartige Gegenstände auch in Ihrer Villa versteckt?«
»Soweit ich weiß, werden die Kunstgegenstände, die meine Tante gesammelt hat, alle öffentlich zur Schau gestellt. Kommen Sie morgen zum Abendessen, dann werde ich sie Ihnen zeigen.«
»Abendessen? Wie wäre es mit mittags?«
»Haben Sie etwa Angst, dass ich mich nach Einbruch der Dunkelheit in einen Vampir verwandeln könnte?«
»Sie sind dafür bekannt, dass das schon vorgekommen ist.«
Er lachte vergnügt. »Für heute habe ich genug Urnen gesehen. Kommen Sie, gehen wir was essen.«
Sie warf einen letzten Blick auf den Ombre della Sera. Rens profunde Kenntnisse in italienischer Geschichte empfand sie als eher störend. Ihr ursprünglicher Eindruck von ihm als lüsternem, egozentrischen, nur begrenzt intelligentem Wesen hatte ihr besser ins Konzept gepasst. Na ja, zwei von drei Treffern waren auch nicht allzu schlecht.
Eine halbe Stunde später nippten sie in einem Straßencafe an zwei Gläsern Chianti. Um die Mittagszeit Alkohol zu trinken erschien ihr als ebenso hedonistisch wie das Zusammensein mit diesem Mann. Weder durch die schauerliche Kleidung noch durch die geklebte Brille wurde seine dekadente Eleganz völlig verdeckt.
Sie zog eine ihrer Gnocchi durch die Sauce aus Olivenöl,
Knoblauch und frischem Salbei. »Während meines Aufenthalts hier in Italien nehme ich sicher mindestens fünf Kilo zu.«
»Sie haben einen tollen Körper. Machen Sie sich darüber also keine Gedanken.« Er verschlang eine weitere der von ihm bestellten Muscheln.
»Einen tollen Körper? Wohl kaum.«
»Ich habe ihn gesehen, Fifi. Ich kann mir also durchaus eine Meinung bilden.«
»Würden Sie wohl bitte aufhören, ständig die Rede auf diesen Zwischenfall zu bringen?«
»Regen Sie sich ab. Schließlich habe ich niemanden getötet.«
»Vielleicht habe ja ich einen Teil meiner Seele an dem Abend umgebracht.«
»Ersparen Sie mir ein derart blödsinniges Gewäsch.«
Sein gelangweilter Ton kratzte an ihrer Ehre. Sie legte die Gabel sorgfältig neben ihren Teller und beugte sich über den Tisch. »Was ich getan habe, widerspricht allem, woran ich glaube. Sex ist etwas Heiliges, und ich mag es nicht, eine Heuchlerin zu sein.«
»Au weia. So zu sein wie Sie ist bestimmt nicht einfach.«
»Jetzt werden Sie sicher gleich wieder etwas unglaublich Kluges von sich geben, oder?«
»Ich stelle lediglich fest, wie schwer es für einen Menschen sein muss, ständig auf dem schmalen Grat der Perfektion zu wandeln.«
»Mich haben schon größere Ignoranten als Sie herausgefordert, aber das ist mir egal. Das Leben ist kostbar, und ich bin der festen Überzeugung, dass man sich deshalb nicht einfach treiben lassen soll.«
»Tja, mit Volldampf hindurchzustürmen scheint zurzeit nicht zu funktionieren. Nach allem, was ich sehe, sind Sie entehrt, pleite und obendrein noch ohne Job.«
»Und wohin hat Ihre Lebe-immer-für-den-Moment-Philosophie Sie bisher geführt? Was haben Sie der Welt gegeben, worauf Sie auch nur ansatzweise stolz sein können?«
»Ein paar Stunden Unterhaltung. Ich finde, dass das reicht.«
»Aber was ist Ihnen wichtig?«
»Jetzt, im Augenblick? Essen, Wein und Sex. Dieselben Dinge wie Ihnen. Und versuchen Sie gar nicht erst zu leugnen, dass Ihnen
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