Vorsicht Nachsicht (German Edition)
Gewissheit. Das war‘s. Versuch gescheitert. So doof bin ich nun auch nicht. Ich kann mir denken, dass der Typ nicht zu seinem primären Freundeskreis gehört. Und ich kann mir auch denken, was er gleich mit ihm machen wird. Aber ich will es mir nicht vorstellen und noch weniger will ich es sehen.
Wie betäubt wende ich mich ab und stolpere die Treppe hinunter, um mich zum Ausgang durchzukämpfen. Noch einmal blicke ich zu den beiden zurück, vielleicht habe ich mich verguckt und es ist gar nicht Kilian. So von oben. Aber nein. Mir wird übel. Kein Zweifel. Es ist Kilian. Außerdem kommt mir der Typ, mit dem er knutscht, irgendwie bekannt vor. Mist. Ich atme zittrig aus, dränge mich durch den letzten Menschenpulk und trete ins Freie.
Erst an der frischen Luft, beginnt mein Hirn, wieder zu arbeiten. Was habe ich erwartet? Ich habe keine Zeit für ihn gehabt. Selbst mir kam die Zeit ohne Sex lang vor. Logisch, dass er da unsere Abmachung gleich wieder vergisst. Es ist ja auch nur ein Versuch gewesen. Nur ein Versuch für ihn und er ist gescheitert. Offenbar kann er wirklich nicht treu sein. Ich schlucke hart und taumle mit diesem tauben Gefühl in meinen Gliedern weiter in Richtung meiner Wohnung. Ja, was habe ich denn erwartet? Dass ich ihm reiche? Schwachsinn.
Als ich meine Wohnung erreiche, falle ich schließlich erschöpft ins Bett. Die Erschöpfung zieht mich in ihren harten Griff – jetzt noch mehr – und darunter mischt sich bodenlose Enttäuschung. Allmählich verschwindet die Taubheit. Zurück bleibt die Kälte und… Es tut weh.
Ich wollte so sehr, dass es klappt. Die letzten paar Wochen bin ich so glücklich gewesen. Glücklicher als jemals zuvor. Er ist toll, trotzdem, ich will ihn wirklich als Freund behalten. Ich könnte einfach so tun, als würde ich nichts davon wissen. Aber wo bleibt da mein Stolz? Wenn er mich jetzt schon betrügt, wird er es immer tun. Keine Ahnung, ob ich das aushalte.
Zitternd ziehe ich die Decke dichter um mich. Mir ist immer noch so kalt. Gott, was soll ich tun? Ich will ihn nicht damit konfrontieren. Vielleicht gesteht er es mir auch von selbst und sagt, dass es ihm leid tut. Vielleicht könnte ich ihm dann eher vergeben und mit ihm zusammen bleiben. Vergeben? Muss ich ihm überhaupt vergeben? Ich meine, eigentlich bin ich selbst Schuld, dass ich mir so große Hoffnungen gemacht habe und er mich jetzt so verletzt hat. Es hätte mir von Anfang an klar sein sollen, dass es früher oder später passiert… Aber doch nicht schon jetzt.
Trotz aller Sorgen muss ich irgendwann eingeschlafen sein. Ich werde von Sturmklingeln geweckt und sehe verschlafen auf die Uhr. Es ist erst vier Uhr morgens. Wer zur Hölle...? Kilian vielleicht? Vielleicht hat mich einer im ‚Vía‘ gesehen und es ihm erzählt und jetzt kommt er, um sich zu entschuldigen. Ich weiß nicht, ob ich aufmachen oder lieber das Klingeln ertragen soll. Schließlich raffe ich mich aber doch auf, um den Summer zu drücken. Ich ziehe mir ein T-Shirt über, weil ich ihm nicht halbnackt gegenüber treten möchte. Besser. Dann öffne ich die Wohnungstür.
»Viktor?«, bringe ich nach der ersten Überraschung konfus hervor.
»Ja!«, knurrt er und drängt sich an mir vorbei.
Ich lasse es verwirrt geschehen. Er sieht furchtbar wütend aus: zusammengepresster Kiefer, schmale Augen, schnaubender Atem. Bei seinem Anblick bekomme ich ein mulmiges Gefühl. Doch ich versuche, es mir nicht anmerken zu lassen.
»Weiß du, wie spät es ist?«
»Ich werde hier schlafen«, erklärt er und legt sich dann tatsächlich auf mein Bett.
Völlig perplex mustere ich ihn. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht einmal, dass er meine Adresse kennt. Ich habe jedenfalls keine Ahnung, wo genau er wohnt. So gut sind wir nicht befreundet.
»Hä?«
»Es ist okay, wenn du und dein Freund eine offene Beziehung habt«, erklärt er mit seinem starken russischen Akzent. »Ich habe keine. Darum ist es schlimm, wenn dein Freund meinen Freund fickt. Und darum schlafe ich hier.«
Schweigen. Ich blinzle und es dauert eine ganze Weile, bis der Groschen bei mir fällt.
»Vitali…«, murmle ich begreifend. Richtig, es ist Vitali gewesen. Daher habe ich den Typen bei Kilian gekannt.
»Du wusstest davon?!«, faucht mich Viktor zornig an.
Automatisch verschränke ich die Arme vor der Brust. Ich wusste gar nichts! Verdammt! Und ich habe auch keine offene Beziehung. Muss er hier reinstürmen und es mir so unsensibel unter die Nase reiben? Kacke, genau das
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