Vorsicht Nachsicht (German Edition)
nicht bleiben.«
Kilian sieht mich kritisch an. »Wen? Wann?«
»Heute Nacht. Vitali«, antworte ich monoton.
Stille.
Kilian blinzelt. Seine Wut verpufft augenblicklich. Eigentlich könnte man sagen, ihm fällt alles aus dem Gesicht, ehe er schuldbewusst den Blick zu Boden senkt. Das hat er noch nie gemacht. Er wirkt derart betreten. Irgendwie will ich ihn so nicht sehen. Es tut weh. Alles tut weh. Die ganze Situation. Es fühlt sich noch so unwirklich an, nach den schönen Dingen, die ich mit ihm erlebt habe. Ich will aufwachen. Oder bin ich eben aufgewacht und das hier ist die Wirklichkeit und das davor ist nur ein Traum gewesen?
Ich hole zittrig Luft und lasse mich auf meinen Schreibtischstuhl fallen, ehe meine Beine unter mir nachgeben. Verkrampft sehe ich auf meine Hände und warte auf eine Reaktion von ihm. Eine Entschuldigung zum Beispiel. Er wird sich doch bestimmt entschuldigen. Im Moment sagt er jedoch gar nichts. Er steht immer noch da und hat sich noch kein Stück bewegt.
»Verdammt!«, flucht er plötzlich laut. Dem Geräusch nach hat er sich gegen die Stirn geschlagen.
Ich zucke zusammen.
Er seufzt und lässt sich dann auf meinem Bett nieder. »Es war nichts, Ruben. Wirklich. Er hat mich vollkommen kalt gelassen.«
»Warum hast du es dann getan?«, frage ich benommen.
»Wir sind ins Gespräch gekommen und es stellte sich heraus, dass wir beide frustriert waren, weil unsere Partner Studenten sind und während des Lernens keine Zeit für uns hatten. Wir haben uns unterhalten und dabei zu viel getrunken. Ich wollte es nicht, aber… Wir haben getanzt und ich habe mich nach dir gesehnt und dann war… Er war eben da.« Kilian seufzt noch einmal. »Wirklich Ruben, du musst mir glauben, das wird nicht noch einmal geschehen. Ich will treu sein. Wirklich. Das war ein Versehen.«
»Du hättest gestern herkommen können«, wende ich ein.
»Ich dachte, du bist erschöpft und du gehst ja auch nicht gerne ins ‚Vía‘ .«
»Vielleicht habe ich mich auch nach dir gesehnt und es wäre mir egal gewesen. Außerdem war ich gestern dort.«
»Du hast uns gesehen?«
Ich nicke, sehe ihn aber immer noch nicht an.
»Verdammt…«, seufzt er. »Wirklich, da war nichts, Ruben. Es war rein körperlich.«
»Du hast ihn geküsst.«
»Ja, ich weiß, das hätte ich mir wirklich verkneifen sollen«, murmelt Kilian reumütig. »Aber glaub mir, ich wollte viel lieber dich küssen. Bist du sehr wütend auf mich? Kannst du mir verzeihen?«
Ich zögere und spüre wie sein Blick mich misst.
»Bist du überhaupt wütend?«, fragt er nach einem Moment kritisch. »Oder bin ich wieder der Einzige, der wütend auf mich ist?«
Keine Ahnung, was ich darauf sagen soll. Ich könnte lügen und behaupten, ich wäre wütend. Aber das wäre doch genauso falsch, wie nicht wütend zu sein.
»Ruben?« Er klingt wieder so streng.
Ich sehe zur Seite und ihn daher ganz bewusst nicht an. Meine Zunge ist wie gelähmt. Wütend bin ich nicht. Nur immer noch sehr enttäuscht. Das ist irgendwie viel schlimmer. Aber es auszusprechen, klingt so trotzig. Mein Stolz verbietet es mir. Es wäre jämmerlich. »Ruben…«
»Lass mich einfach…«, bitte ich verhalten.
»Ich will dich nicht lassen«, entgegnet Kilian. »Wieso bist du nicht wütend?«
»Sei doch froh!«
»Nein, bin ich nicht. Ich war eben total eifersüchtig und wütend, als ich den Kerl hier gesehen habe, dabei habe ich dazu noch nicht einmal eine Berechtigung gehabt. Wieso bist du nicht wenigstens ein bisschen wütend?«, fragt er noch einmal eindringlich. »Ist dir unsere Beziehung so egal?«
»Nein… aber ich bin eben nicht so…«, erkläre ich leise. Mir fällt es immer schwerer, die Kontrolle zu behalten. Das Zittern will nicht aufhören und ich bin völlig verspannt, damit er es nicht merkt. Sprechen allein ist schon so schwer. Es geht mir verdammt nahe. Die Unterhaltung ist so schwierig und ich muss um meine Fassung ringen, sonst fange ich noch an, vor ihm zu heulen. Ich will nicht, dass das mit uns jetzt schon endet. Noch ein bisschen. Ich will noch ein bisschen länger mit ihm zusammen sein.
»Okay…«, sagt er gedehnt. »Also, da du nicht sauer auf mich bist, ist alles in Ordnung? Es ist nicht schlimm, dass ich dich betrogen habe?«
»Nein.« Diese verneinten Fragen sind unfair, wenn ich ohnehin schon so verwirrt bin. Ich weiß nie, wann ich Ja oder Nein sagen soll. Das ist doch total unlogisch. Also füge ich noch leise hinzu: »Ich meine, doch. Es ist
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