Vorsicht Nachsicht (German Edition)
steif.«
Verwirrt sehe ich ihn an. Hat er bemerkt, dass etwas nicht stimmt? Dass es ein schrecklicher Nachmittag werden wird? Nein. Ich weiß nicht, wie er das gemeint hat. Sehr wahrscheinlich hat er es nur so dahin gesagt. Jetzt hat er aber gemerkt, dass ich komisch reagiere. Ich schlage die Augen nieder und murmle schnell ein ‚Danke‘ , ehe ich die Autotür hinter mir zuschlage und mich meinen Eltern zuwende.
»Morgen.«
Hinter mir entfernt sich das Motorengeräusch langsam. Ich drehe mich nicht noch einmal zu Kilian um. Stattdessen begegne ich den enttäuschten und entrüsteten Blicken meiner Erzeuger. Meine Mutter holt tief Luft und bringt dann ebenfalls einen Gruß heraus. Mein Vater dagegen sieht Kilians Golf mit zusammengekniffenen Augen nach und geht dann brummend zur Garage.
»Du bist spät dran«, stellt meine Mutter fest.
»Nicht sehr«, entgegne ich leise und sehe auf meine Uhr, die ich mir zur Feier des Tages mal umgebunden habe. Es ist erst fünf nach elf.
»Wir wollten um elf losfahren. Du hättest ruhig ein paar Minuten früher kommen können.«
»Ich habe verschlafen.«
»Ich dachte, du müsstest so viel lernen.«
»Da kann ich doch trotzdem mal verschlafen.«
»Und wer war dann der Mann eben?« Ein Verhör. Schon wieder. Scheiße.
Dabei will sie es nicht einmal wissen. Eigentlich interessiert es sie nicht einmal. Dass ich lernen muss auch nicht. Es ist beachtlich, dass sie sich das gemerkt hat. Mein Leben ist ihnen doch sonst auch gleichgültig. Es interessiert sie nicht, dass ich nicht zum Lernen komme, weil ich arbeiten muss. Aber wenn da ein Mann ist, der mich ein wenig ablenken könnte, machen sie ein Drama draus. Deshalb schweige ich. Kilian geht sie nichts an.
»Er sah ja schon wesentlich älter aus als du«, stellt sie fest und mustert mich kritisch.
»So alt wie Joachim«, lasse ich mich davon reizen.
»Das ist Torbens Einfluss, nicht wahr?«
»Nein.« Ich bin froh, dass mein Vater den Wagen aus der Garage geholt hat, und steige hinten ein, ohne meine Mutter weiter zu beachten. Vor meinem Vater vermeidet sie es, weiter nachzuhaken. Der reagiert allergisch auf meine Sexualität und alles, was damit zu tun hat.
Natürlich ist meine Mutter daran schuld, dass ich schwul bin. Joachim ist es schließlich nicht. Torben allerdings schon. Folglich muss es von ihrer Seite der Familie stammen. Zum Glück nimmt er es nur mir übel. Ich bin schließlich derjenige, der sich nicht ändern will und es nicht einmal versucht. Aber das hatten wir alles schon einmal. Das Thema ist gegessen. Jetzt schweigen wir uns lieber an.
Die Fahrt dauert nicht lange. Meine Großmutter lebt in einer Ortschaft nicht weit von der Stadt entfernt. Sie unterhält den Haushalt eines ehemaligen Hofes. Für ihr Alter keine schlechte Leistung. Allerdings wird sie von ihrem Sohn unterstützt. Der Bruder meiner Mutter. Ein Junggeselle und komischer Kauz. Wer wohnt sonst noch mit fünfundvierzig bei seiner Mutter? Nun, immerhin ist er Lehrer und verdient sein eigenes Geld. Seine Wäsche wäscht er aber bestimmt nicht selbst.
Onkel Walter ist kein schlechter Kerl. Nicht schwul, obwohl es einige denken. Ich mag ihn.
Außerdem ist noch meine Großtante Marga da und ihre Tochter Ines sowie deren Mann Harald, die Eltern von Torben. Wir sind keine besonders große Familie. Ich bin der einzige Enkel meiner Großmutter und daher eine große Enttäuschung. Keine Urenkel aus meiner Richtung. Deshalb hat sie Joachim als weiteren Enkel adoptiert. Ich wende mich leise an meine Erzeuger.
»Kommt Joachim nicht?«
»Nein, der kann nicht«, antwortet mir mein Vater steif.
»Warum?«
»Seine Frau braucht ihn bei irgendwas.« Er geht zu seiner Schwiegermutter und lässt mich stehen.
»Aha.« Sehr aufschlussreich. Mit anderen Worten: Joachim hat einfach keine Lust. Dann ist die Aufmerksamkeit meiner Oma heute wohl leider ganz auf mich gerichtet.
Ich ziehe unbehaglich die Schulten hoch und mache mich ebenfalls daran, den Versammelten die Hand zu schütteln. Am liebsten mag ich Ines und Harald. An die halte ich mich auch beim Essen. Natürlich wird mir der Platz unten am Tisch zugewiesen. Ihnen auf der gegenüberliegenden Seite. Neben mir sitzt mein Onkel.
»Torben meinte, ihr habt euch gestritten?«, beginnt Ines unvermittelt bei der Suppe.
»Nicht direkt.«
»Er wollte deshalb nicht mitkommen«, stellt sie in den Raum.
Ich druckse ein wenig. Gemein, dass Torben das als Vorwand benutzt hat. Aber auch typisch. Seine Rache für
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