Vorsicht, Zickenzone
oder Supermarktes aus sich herausging und inspiriert von der Quengelware lautstark nach einem Kaugummi verlangte. Ja, manche werfen sich sogar auf den Boden, werden von ihrer Mutter hochgezogen, werfen sich wieder hin, schreien noch lauter. Die hinter ihnen in der Kassenschlange Stehenden scheinen plötzlich in der Ferne etwas ganz Wichtiges wahrzunehmen. Jedenfalls ist ihr Blick einheitlich nicht anwesend. Bis sich eine Frau â meist ist es eine ältere â erbarmt. Sie bietet an oder sagt der schwitzenden Mutter, sie solle dem Kind doch den Kaugummi kaufen. Die Mutter darauf unwirsch: »Bitte, mischen Sie sich nicht ein. Das ist ein reines Machtspiel.« Worauf die ältere Dame Zuspruch von der Schlange erhält, als sie sagt: »Ich habâs ja nur gut gemeint.«
Da bleibt der Mutter nur, unter Groll und bösen Blicken das Feld zu räumen. Ja, meist hat man als Mutter nicht die Nerven, auch noch pädagogisch richtig auf »Kaufen Sie ihm doch die SüÃigkeit« zu reagieren. Man fühlt sich in zweifacher Hinsicht (von Kind und Kundin) unter Druck gesetzt und pampt genervt zurück.
Anders verhält es sich, wenn Kinder bewusst ihre Grenzen überschreiten und Erwachsene drangsalieren, ohne dass die Mutter einschreitet. Etwa, wenn sie es witzig finden, mit dem Kies in Biergärten nach benachbarten Tischen und Gästen zu werfen. Oder Leute, die an ihrem Stuhl vorbeigehen, zu treten. Als sich eine Frau darüber aufregte und sagte: »Hör mal, das gehört sich nicht«, antwortete die Mutter des Ãbeltäters schnippisch: »Was soll das? Kinder müssen sich ausleben.« Keine Entschuldigung, kein Pardon.
Das gabâs auch nicht, als ein Junge ohne zu gucken über den Radweg lief und der heranbrausenden Radfahrerin die Vorfahrt nahm. Sie konnte sich gerade noch auf dem Rad halten und ihre hinter ihr sitzende Tochter stützen, während die Mutter des Jungen in Jeans, Gummistiefeln und Ringelpulli schrie: »Haben Sie keine Augen im Kopf?«
Statt wütend weiterzufahren und sich über die Zicke und ihren Teufelsbraten einen halben Tag lang zu ärgern, bewies die Mutter Courage. Sie rollte an die andere heran und sagte ganz ruhig: »Sicherlich war ich sehr schnell unterwegs, das tut mir leid. Doch liegt die Schuld nicht ausschlieÃlich bei mir. Was wäre passiert, wenn ich nicht geistesgegenwärtig gebremst hätte?«
»Das ist ja jetzt wohl die Höhe!«, giftete die andere, weil, hey, da wollte jemand ihrem Sohn ans Bein ...
Natürlich kam es zu keinem Konsens. Bei so viel Adrenalin und Muttertier-Machtrausch ging es nur mehr um die Frage: angreifen oder fliehen? Ein urzeitlicher Mechanismus, der uns in Zeiten des Säbelzahntigers zu überleben half. Auf Angreifen gepolt fehlte der mit Stresshormonen gedopten Kampfmutter der klare Blick und so konnte die andere nur schulterzuckend mit »Schönen Tag noch« davonradeln. Was soll man in solchen Situationen tun? Eingreifen? Sicherlich nicht! Natürlich würde es keine Kratzer und ausgerupfte Haarbüschel geben. Wohl aber die Sache unnötig anheizen. Das gilt auch für Situationen, wenn Kinder an der Kasse den Aufstand proben.
Würde mir allerdings jemand gegen das Bein hauen oder Steinchen auf Radi und Bier streuen, dagegen hätte ich was! Billigt es die Mutter, zwingt sie einen, selbst tätig zu werden! Für gewisse Umgangsformen muss man einfach eintreten und nicht mund- und kopftot Maulaffen feilhalten. Dahinter verbirgt sich der Gedanke der miterziehenden Gesellschaft (laut einem afrikanischen Sprichwort: »Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.«). Klar irrt dieses Dorf auch, weil es einen Gemüsegarten von Ansichten und Meinungen gibt. Die einen richtiger als die anderen, und immer wieder werden sich Besserwisser, Klugschwätzer und Kahlschläger berufen fühlen. Doch an jeder Meinung ist ein neues Blickwinkelchen. Und: Auseinandersetzungen regen zum Nachdenken und vielleicht auch zum Annähern an.
Warum also fällt es uns so schwer, andere Meinungen zuzulassen? Oder wenn es nicht unsere Ansicht ist und ein Besserwisser besserwusste, sie abprallen zu lassen? Weil wir sie zu sehr als Einmischung in unseren Hoheitsbereich verstehen? Weil keiner es besser weià als wir? Weil wir wegen des täglichen Spagats zwischen Kind, Job und Beziehung zu dünnhäutig sind? Weil Durchschlafen immer noch Thema ist?
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