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Vortex: Roman (German Edition)

Vortex: Roman (German Edition)

Titel: Vortex: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Charles Wilson
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der andere Wagen, den ihr Vater gefahren hatte, bevor er sich im oberen Stockwerk verkrochen hatte, und der jetzt in der Garage stand.
    Sie wusste, was Selbstmord war; zumindest hatte sie eine Vorstellung davon. Sie wusste auch, dass einige Leute Selbstmord begingen, indem sie sich mit einem laufenden Motor einsperrten. Kohlenmonoxidvergiftung. Und in gewisser Weise konnte sie sogar – ein Gedanke, den sie hauptsächlich in den bitteren Monaten danach hegte – die Todessehnsucht ihres Vaters verstehen. So etwas gab es. Es war wie eine Krankheit. Man machte es sich zu leicht, wenn man diese Menschen verurteilte. Aber warum nur hatte ihr Vater Kyle mit in die Garage genommen? Und warum war Kyle mitgegangen?
    Sie öffnete die Verbindungstür zwischen Küche und Garage. Als ihr die Auspuffgase entgegenschlugen, lief sie panisch nach draußen und zog das Garagentor hoch, sodass frische Luft hinein- und das Gas hinauskonnte. Obwohl ihr Vater Lumpen in jede Lücke gestopft hatte, damit das Kohlenmonoxid nicht entweichen konnte, schwang das Tor beinahe widerstandslos nach oben; es war nicht einmal abgeschlossen. Dann öffnete sie die Wagentür auf der Fahrerseite, langte an ihrem Vater vorbei nach dem Zündschlüssel und stellte den Motor ab. Der Kopf ihres Vaters baumelte seitlich nach unten, das Gesicht blau angelaufen, verkrusteter Speichel auf den Lippen. Kyle saß angeschnallt auf dem Beifahrersitz. Hatte er gedacht, sie würden irgendwohin fahren? Sosehr sie an ihnen rüttelte, so laut sie schrie, keiner von beiden rührte sich.
    Sie wählte die Notrufnummer und wartete vor dem Haus auf den Krankenwagen. Es dauerte eine Ewigkeit, bis er kam. Sie überlegte, ihre Mutter anzurufen, aber ihre Mutter war auf einer Messe auf Sri Lanka und Sandra wusste nicht, wie sie sie dort erreichen sollte. Es war ein sonniger Nachmittag im Mai, der sich in dem Bostoner Vorort, in dem sie wohnten, wie Sommer anfühlte. Die Straßen waren menschenleer. Die Häuser schienen zu schlafen – die Nachbarn darin eingesperrt wie Träume, die die Häuser träumten.
    Die Sanitäter nahmen Sandra mit ins Krankenhaus und besorgten ihr ein Bett. Am nächsten Morgen traf ihre Mutter aus Colombo ein. Ihr Vater war, wie sich herausstellte, längst tot gewesen, als Sandra ihn gefunden hatte. Sie hätte nichts mehr für ihn tun können. Kyles junger Organismus habe dem Gift länger Widerstand geleistet, erklärte ein Arzt. Er hatte überlebt, aber sein Gehirn war irreparabel geschädigt. Er würde nie wieder derselbe sein.
    Sieben Jahre später war Sandras Mutter an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben, den man zu spät erkannt hatte, um sie noch wirksam therapieren zu können. In ihrem Testament hatte sie die treuhänderische Verwaltung ihres Vermögens für Sandras Ausbildung und Kyles lebenslange Bedürfnisse verfügt. Als Sandra dann nach Houston zog, bat sie die Vermögensverwalter, für Kyle eine angemessene Unterbringung in ihrer Nähe zu suchen, wo sie ihn regelmäßig besuchen konnte. Sie entschieden sich für Live Oaks. Die Einrichtung betreute Schwerstbehinderte und galt landesweit als eine der besten ihrer Art. Sie war teuer, aber das spielte keine Rolle; das Vermögen war groß genug.
    Kyle war für den Flug nach Westen in einen künstlichen Schlaf versetzt worden, und Sandra hatte es so eingerichtet, dass sie dabei war, als er aufwachte. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass es ihm etwas ausmachte, auf einmal in einem fremden Bett zu liegen, das in einem fremden Zimmer stand.
    Kyle saß in der Mittagssonne, als würde er darauf warten, dass sie zu reden begann. Doch anders als sonst fragte sich Sandra diesmal, wo sie anfangen sollte.
    Sie begann mit Jefferson Bose. Wer er war und wie sehr sie ihn mochte. »Ich glaube, du würdest ihn auch gern haben. Er ist Polizist.« Sie hielt inne. »Aber er ist auch noch etwas anderes.« Sie senkte die Stimme, obwohl sonst niemand in der Nähe war. »Du hast doch immer diese Geschichten vom Mars aus der Zeit des Spins gemocht. Wie sich die menschlichen Kolonien dort in Zivilisationen verwandelten, während die Erde hinter der Spinbarriere lag. Dass sie ein viertes Lebensalter kannten und länger leben konnten, wenn sie bestimmte Pflichten und Aufgaben übernahmen. Weißt du noch? Die Geschichten, die Wun Ngo Wen erzählte, bevor er ermordet wurde? Naja, der Mars redet nicht mehr mit uns, und gewissenlose Leute haben aus diesen marsianischen Arzneien etwas Schmutziges gemacht, für das sie auf dem

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