Vorübergehend tot
obwohl mich der bloße Gedanke daran ziemlich mitnahm, mußte ich mir doch eingestehen, daß ein solches Vorgehen sinnvoll war. Bill hatte ja auch recht gehabt, was meine eigene kleine, informelle Vitaminzufuhr vom Abend zuvor betraf: Mir ging es einfach phantastisch. Ich fühlte mich ungeheuer stark und beweglich, sehr klar im Kopf und eigenartigerweise auch sehr, sehr hübsch.
Was sollte ich nun anziehen bei meinem eigenen kleinen Interview mit einem Vampir? Ich wollte mir auf keinen Fall den Anschein geben, als versuchte ich, möglichst sexy auszusehen, aber ich wollte mich auch nicht zum Narren machen und irgendeinen unförmigen Sack überwerfen. Wie so oft im Leben schien ein Paar Jeans die Antwort auf diese knifflige Frage. Dazu zog ich weiße Sandalen und ein blaues T-Shirt mit ausgeschnittenem Kragen an, das ich nicht mehr getragen hatte, seit ich mit Bill zusammen war, da es meine Bißnarben nicht verdeckte. An diesem Abend jedoch, dachte ich, konnte es nicht schaden, auf jegliche nur denkbare Art zu betonen, daß ich Bills 'Eigentum' war. Dann fiel mir ein, wie der Polizist beim letzten Mal meinen Hals kontrolliert hatte, und ich steckte ein Halstuch in meine Handtasche. Dann fiel mir noch etwas ein, und ich steckte zur Sicherheit auch noch eine silberne Halskette dazu. Ich bürstete mein Haar, das mindestens drei Farbstufen heller wirkte als sonst, und kämmte es so, daß es mir wie ein Wasserfall offen über den Rücken floß.
Ich hatte gerade wirklich schwer mit der Vorstellung zu kämpfen, daß Bill mit jemand anderem zusammen war, als er auch schon an meine Tür klopfte. Ich öffnete, und wir starrten einander etwa eine Minute lang schweigend an. Bills Lippen hatten mehr Farbe als sonst, also hatte er 'es' wohl getan. Ich biß mir auf die Lippen, um jeglichen Kommentar zu unterbinden.
„Du wirkst verändert“, bemerkte Bill als erstes.
„Glaubst du, daß das anderen auch auffällt?“ Ich hoffte, das möge nicht der Fall sein.
„Ich weiß nicht.“ Er streckte mir die Hand hin, und dann gingen wir zusammen zu seinem Wagen. Dort hielt er mir die Beifahrertür auf, und ich schob mich an ihm vorbei, um auf den Sitz zu klettern. Mitten in der Bewegung erstarrte ich.
„Was ist?“ wollte Bill nach einer kleinen Pause wissen.
„Ach, nichts“, sagte ich, wobei ich versuchte, möglichst beiläufig zu klingen. Dann nahm ich auf dem Beifahrersitz Platz und blickte starr geradeaus.
Ich schalt mich unlogisch, sagte mir, ebensogut könnte ich wütend auf die Kuh sein, wenn Bill einen Hamburger gegessen hätte, aber irgendwie schien der Vergleich zu hinken.
„Du riechst anders“, sagte ich schließlich, als wir schon ein paar Minuten auf der Autobahn fuhren. Die nächsten paar Minuten fuhren wir dann wieder schweigend.
„Nun weißt du, wie mir zumute ist, wenn Eric dich anfaßt“, sagte Bill dann. „Nur, daß ich wohl noch wütender sein werde, denn Eric wird es Spaß machen, dich anzufassen, und ich habe meine Mahlzeit nicht wirklich genossen.“
Das, nahm ich an, stimmte nicht - oder jedenfalls nicht ganz und in allen Punkten: Mir zumindest macht Essen immer Spaß, auch wenn man mir nicht mein Lieblingsgericht vorsetzt. Aber ich wußte es zu schätzen, daß Bill zumindest dachte, ihm ginge es anders.
Danach redeten wir beide nicht mehr viel, uns beiden bereitete das, was uns nun bevorstand, große Sorgen. Viel zu schnell kamen wir beim Fangtasia an, parkten diesmal jedoch nicht vorne auf dem Kundenparkplatz, sondern hinter der Bar. Bill hielt mir die Wagentür auf, und ich mußte mich sehr anstrengen, mich nicht verzweifelt am Sitz festzuklammern und mich zu weigern, das Fahrzeug zu verlassen. Nachdem ich das Aussteigen hinter mich gebracht hatte, mußte ich ein weiteres Gefecht mit mir selbst austragen: Ich hätte mich am liebsten hinter Bills Rücken versteckt. Statt dessen holte ich einmal tief und vernehmlich Luft, nahm den Arm meines Freundes, und dann schritten wir beide auf die Tür zu, als gingen wir zu einer Party, der wir beide mit freudiger Erwartung entgegensahen.
Bill blickte wohlwollend auf mich herab.
Ich unterdrückte das Bedürfnis, ihn anzuknurren.
Er klopfte an eine Stahltür, auf die mit Schablone der Name FANGTASIA geschrieben worden war. Wir befanden uns in der Versorgungsgasse, die hinter der kleinen Einkaufszeile entlanglief und für Lieferanten und die Müllabfuhr gedacht war. Hier standen außer Bills Auto noch andere Fahrzeuge, unter anderem Erics rotes
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