Vorübergehend tot
herumwedelte, um meine Aufmerksamkeit zu erregen.
„Klar, Andy“, sagte ich ein wenig geistesabwesend und holte eine Flasche Bier aus der Kühltruhe. „Noch Tee, Portia?“
„Nein danke“, erwiderte Portia höflich und tupfte sich die Lippen mit einer Papierserviette ab. Portia mußte an ihre Schulzeit denken und daran, wie sie damals für eine einzige Verabredung mit dem anbetungswürdigen Jason Stackhouse problemlos ihre Seele verkauft hätte. Sie fragte sich, was wohl aus Jason geworden sein mochte, ob es in dessen Kopf einen einzigen Gedanken gäbe, der sie, Portia, interessieren könnte. Oder war sein herrlicher Leib es wert, jegliche Hoffnung auf intellektuelle Übereinstimmung dafür in den Wind zu schlagen? Die Videos hatte Portia nicht gesehen; sie wußte noch nicht einmal, daß sie existierten. Andy verhielt sich also wie ein anständiger Polizist.
Ich versuchte, mir Portia zusammen mit Jason vorzustellen, und da konnte ich nicht anders - ich mußte lächeln. Das wäre bestimmt für beide ein völlig neuartiges Erlebnis gewesen! .Nicht zum ersten Mal wünschte ich, ich könnte bei anderen Leuten im Kopf Ideen auch säen und nicht nur ernten.
Am Ende meiner Schicht wußte ich - gar nichts. Nichts Neues jedenfalls - außer vielleicht, daß es in den Videos, die mein Bruder so dummerweise gedreht hatte, auch um leichte Bondage gegangen war. Keine schlimmen Fesselszenen, aber dennoch mußte Andy an die Würgemale am Hals der Opfer denken: Sie rührten von Schnüren her.
Alles in allem war es also ein ziemlich sinnloses Unterfangen gewesen, meinen Kopf zu öffnen, um dadurch meinem Bruder zu helfen. Die Informationen, die ich erhalten hatte, machten mich eigentlich nur besorgter, als ich ohnehin schon war, und es waren keine neuen Erkenntnisse zutage getreten, die ihm unter Umständen hätten nützen können.
Am Abend würden natürlich andere Gäste in unserem Lokal sein. Einfach so zum Vergnügen war ich noch nie im Merlottes gewesen - ob ich am Abend wiederkommen sollte? Was Bill wohl vorhatte? Wollte ich den denn überhaupt sehen?
Ich fühlte mich sehr allein und einsam. Es gab niemanden, mit dem ich über Bill hätte reden können, niemanden, den es nicht zumindest leicht schockiert hätte, daß ich überhaupt mit einem Vampir zusammen war. Wie konnte ich denn zu Arlene gehen und ihr erzählen, wie traurig und bedrückt ich war, weil Bills Vampirkumpel allesamt grauenerregend und völlig skrupellos waren? Daß ich in der vergangenen Nacht von einem von ihnen gebissen worden war? Daß dieser Vampir dann in meinen Mund geblutet hatte, weil er gepfählt worden war, während er noch auf mir lag? Mit dieser Art von Problemen hatte Arlene nie umzugehen gelernt, damit konnte ich ihr nicht kommen.
Mir fiel aber auch sonst niemand ein, der mit so etwas umgehen konnte.
Ich konnte mich nicht erinnern, je davon gehört zu haben, daß jemand mit einem Vampir zusammen war, ohne Vampirgroupie zu sein. Vampirgroupies war es egal, mit welchem Vampir sie schliefen, Hauptsache, es war einer. Fangbanger gingen mit jedem Blutsauger mit - das half mir auch nicht weiter.
Als ich mich anschickte, nach Hause zu gehen, schaffte es mein verbessertes, verändertes Aussehen nicht mehr, mich zuversichtlich und selbstbewußt zu stimmen. Statt dessen kam ich mir vor wie eine Mißgeburt.
Ich bosselte ein wenig im Haus herum, hielt einen kurzen Mittagsschlaf, goß Omas Blumen. Als es dunkel wurde, aß ich etwas, das ich mir vorher in die Mikrowelle geschoben hatte. Bis zur letzten Sekunde wußte ich nicht, ob ich denn nun ausgehen sollte oder nicht. Dann zog ich kurz entschlossen ein rotes Hemd und eine weiße Hose an, behängte mich ein bißchen mit Schmuck und fuhr zurück zum Merlottes.
Es war schon sehr merkwürdig, das Lokal als Gast zu betreten. Sam hatte seinen Platz hinter der Bar eingenommen, und seine Brauen schossen hoch, als er mich durch die Tür treten sah. Drei Kellnerinnen, die ich zumindest vom Sehen kannte, arbeiteten in dieser Schicht, und wie ich durch die Servierluke feststellen konnte, briet ein anderer Koch die Hamburger.
Jason hockte am Tresen. Der Barhocker neben ihm war leer - welch ein Wunder! -, und so kletterte ich darauf.
Er wandte sich mir zu, sein Gesicht ganz so, wie er es einer neuen Frau zeigen wollte: ein entspannter, locker lächelnder Mund, große, glänzende Augen. Bei meinem Anblick erfuhr seine Miene eine bemerkenswerte Veränderung. „Was zum Teufel machst du denn hier,
Weitere Kostenlose Bücher