Vorübergehend tot
Tageslicht und muß sich tagsüber irgendwo aufhalten, wo niemand ihm etwas anhaben kann. Also würde ich darauf tippen, daß er unter der Erde liegt.“
Wenig später mußte ich feststellen, daß nichts mehr meine Großmutter daran hindern konnte, sich einem Anfall von Hausfrauenstolz hinzugeben. Als ich mich fertig machte, um zur Arbeit zu gehen, machte sie sich auf den Weg zum Laden, wo sie eine Teppichreinigungsmaschine mietete, um sofort mit dem Großreinemachen beginnen zu können.
Ich machte auf dem Weg zur Arbeit einen kleinen Umweg Richtung Norden, damit ich mir die Sache bei Four Tracks Corner ansehen konnte. Four Tracks Corner war eine Kreuzung, und es gab sie schon, seit Menschen in dieser Gegend siedelten. Mittlerweile wirkte sie mit all ihren Straßenschildern und dem Asphalt sehr formell, aber der Überlieferung zufolge schnitten sich an dieser Stelle in früheren Zeiten einmal zwei Jagdpfade. Irgendwann einmal würden wohl auch hier zu beiden Seiten der Straßen moderne Landhäuser und Einkaufszentren entstehen, aber noch umstand Wald die Kreuzung und in diesem Wald konnte man, wie Jason mir versichert hatte, immer noch hervorragend jagen.
Da mich kein Verbotsschild davon abhielt, bog ich auf den holprigen Pfad ein, der zur Lichtung führte, auf der der Wohnwagen der Rattrays gestanden hatte. Dort parkte ich und starrte entgeistert aus dem Seitenfenster. Der Wohnwagen - recht klein und schon sehr alt - lag völlig zerquetscht etwa vier Meter von seinem ursprünglichen Stellplatz entfernt. Auf diesem beweglichen Zuhause, das nun eher einer Ziehharmonika glich, thronte das zerbeulte rote Auto der Ratten. Die ganze Lichtung war mit Trümmern übersät, und der Wald dahinter sah aus, als sei eine ungeheure Kraft durch ihn hindurchgefahren: überall geknickte Zweige, und die Spitze einer Kiefer hing nur noch an einem winzigen Rest Rinde. Oben in den Bäumen baumelten Kleidungsstücke und sogar eine Schmorpfanne.
Ich stieg ganz langsam aus und sah mich um. Die Zerstörung war einfach unglaublich, vor allem, weil ich ja wußte, daß kein Wirbelsturm sie verursacht hatte. Bill der Vampir hatte die Szene arrangiert, um einen einleuchtenden Grund für den Tod der beiden Rattrays zu liefern.
Durch die Schlaglöcher im Pfad näherte sich nun holpernd ein alter Jeep und kam neben mir zum Stehen.
„Wenn das nicht Sookie Stackhouse ist!“ rief Mike Spencer mir zu. „Mädchen, was tust du denn hier? Mußt du nicht bald zur Arbeit?“
„Ja, Sir. Ich kannte die Ratten - die Rattrays. Das ist alles ganz schrecklich!“ Das klang wenigstens für meine Begriffe reichlich zweideutig. Nun sah ich auch, daß sich der Sheriff in Mikes Begleitung befand.
„Eine schreckliche Sache, ja.“ Mit diesen Worten kletterte Sheriff Bud Dearborn aus dem Jeep. „Aber es ist mir auch zu Ohren gekommen, daß du dich mit Mack und Denise - na ja, daß ihr drei euch neulich auf dem Parkplatz vom Merlottes sozusagen nicht gerade gut verstanden habt.“
Die beiden bauten sich vor mir auf, und ich fühlte irgendwo in der Lebergegend ein kaltes Gefühl emporkriechen.
Mike Spencer leitete eines der beiden Bestattungsunternehmen, die Bon Temps aufzuweisen hatte. Bei 'Spencer und Söhne' konnte sich jeder, der das wünschte, beerdigen lassen, wie Mike bei jeder Gelegenheit bereitwillig erklärte, aber nur Weiße schienen diesen Wunsch zu hegen. So, wie nur Schwarze vom Bestattungshaus 'Ruhe Sanft' unter die Erde gebracht werden wollten. Mike war ein Mann mittleren Alters. Sein Haar und sein Schnurrbart waren hellbraun wie schwacher Tee, und er hegte eine Vorliebe für Cowboystiefel und Lederschnüre, die er beim Dienst für Spencer und Söhne nicht ausleben konnte. Weswegen er die Sachen außer Dienst ständig trug; so auch jetzt.
Sheriff Dearborn, der im Ruf stand, ein guter Mann zu sein, war ein wenig älter als Mike, aber vom grauen Haar bis hinab zu den schweren Schuhen fit und zäh. Der Sheriff hatte ein Gesicht, das leicht eingedrückt wirkte, und flinke braune Augen. Er war ein guter Freund meines Vaters gewesen.
„Ja, Sir, wir hatten eine Meinungsverschiedenheit“, sagte ich ganz offen und in meiner besten Mädchen-vom-Lande-Manier.
„Willst du mir sagen, worüber?“ Der Sheriff zog eine Marlboro aus der Tasche, die er mit einem schlichten Metallfeuerzeug anzündete.
Nun beging ich einen Fehler. Ich hätte den beiden frank und frei sagen können, worum es gegangen war. Mich hielten ohnehin alle für verrückt, und
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