Vorzeitsaga 01 - Im Zeichen des Wolfes
Fleisch, das inzwischen völlig aufgetaut war und zu brutzeln begann. »Bei Licht erwartet dich ein jämmerliches Leben. Du würdest beten, Krähenrufer möge zurückkommen und dich mitnehmen.«
»Das bezweifle ich.«
»Das ist mir klar. Noch glaubst du mir nicht. Aber mir geht es wie meinem närrischen Bruder. Auch ich habe Träume. Ich sprach nie zu jemandem darüber. Die Bilder bestehen aus einzelnen, unzusammenhängenden Fragmenten.«
Er sah sie mit merkwürdig leeren Augen an. »Aber ich sah deutlich, wie erbärmlich du dich bemühst, mit ihm und seinen Halluzinationen leben zu können. Er ist verrückt, das weißt du genau, völlig verrückt. Er ist besessen von Dingen, die an ihm nagen und ihn eines Tages auffressen werden.«
»Das stört mich nicht.«
»Wenn das so ist, hast du an meiner Stelle die Entscheidung bereits gefällt. Ich bringe dich zurück.«
»Ich will nicht.«
»Glaubst du, du hast auch nur den geringsten Einfluß darauf?«
Ängstlich fuhr sie sich mit der Zunge über die Lippen. »Ja. Du wirst mich zwar töten, Rabenjäger, aber ich kämpfe mit dir.«
»Hat dir niemand weibliches Schamgefühl beigebracht? Hat man das bei deiner Erziehung versäumt?«
fragte er unbekümmert. Er griff nach seinem Speer, nahm das Fleisch ab und blies, bis es abkühlte.
Anschließend schnitt er es in Streifen und reichte ihr ein Stück.
Sie starrte auf das Fleisch. Der Augenblick schien ihr endlos. Verzweifelt versuchte sie, sich gegen den Hunger zu wehren und dieses Stück nicht anzunehmen. Als er aber Anstalten machte, es zurückzuziehen, vergaß sie ihren Stolz, griff hastig zu und steckte es in ihren Beutel für später.
»Sehr klug. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, bis wir wieder bei unserem Volk sind.«
»Freiwillig gehe ich nicht. Du wirst mich die ganze Zeit hinter dir herzerren müssen.«
Unter dem eiskalten Blick, den er ihr zuwarf, erstarrte sie.
Tiefer Kummer glitzerte in seinen schwarzen Augen. »Ich möchte dir nicht weh tun, Tanzende Füchsin, aber ich sah etwas. Begreifst du denn nicht? Du denkst, ich will dich vernichten, dich demütigen. Aber glaub mir, ich weiß, letzten Endes wirst auch du anerkennen, daß mein Weg der richtige ist.«
Ihre Augen wurden schmal vor Angst. Er ist wahnsinnig. Liebes Volk der Sterne, ich muß hier raus.
Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. »Ich liebe dich. Du bist der einzige Mensch auf der Welt, den ich wahrhaft liebe. Was ich vorhabe …«
»Dann beweise mir deine Liebe und laß mich gehen.«
Grimmig schüttelte er den Kopf. Gleich darauf runzelte er nachdenklich die Stirn und schürzte die Lippen. »Oh, das geht nicht. Ganz einfach, weil ich dich mehr liebe, als du je verstehen wirst.«
»Willst du, daß ich sterbe? Krähenrufer wird mich nicht nur verstoßen. Er haßt mich, er wird mich…«
»Nein.« Er schauderte, als ob ein eiskalter Hauch ihn berührt hätte. »Nein, niemals.«
»Aber…«
»Ich … ich weiß nicht, warum. Ich habe es nur gesehen. Geträumt wahrscheinlich, ha?« Er lachte bitter. »Wie mein Bruder, der nichts als Knochen in seinem leeren Kopf hat. Ich sehe das Bild ganz deutlich vor mir. Es kommt gar nicht darauf an, was ich will. Ich bin nur ein Blatt im Wind. Ich muß dich heiraten oder dich vernichten.«
Er sprach diese Worte mit derart überzeugender Sicherheit, daß ihr beinahe das Blut in den Adern gefror. Gemächlich kaute er die dünnen Fleischstreifen, wischte sich die Hände an den langen Stiefeln ab und bot ihr ein weiteres Stück an. »Iß«, sagte er mit sanfter Stimme. »Du brauchst Kraft, wenn du versuchen willst, mir zu entwischen.«
Mit starren Fingern nahm sie das Fleisch entgegen. Während sie langsam aß, genoß sie die Wärme in ihrem Mund. Sie kannte diesen beißenden, unangenehmen Geschmack: Wolf. Also hatte auch er davon gegessen. Obwohl sie es am liebsten ausgespuckt hätte, würgte sie es widerwillig hinunter.
»Was hast du sonst noch in deinen Träumen gesehen?« fragte sie, um Zeit zu schinden. Ihre angsterfüllten Augen beobachteten ihn aus der dunklen Ecke heraus.
Er reichte ihr das letzte Stück Fleisch, schluckte den letzten Bissen, den er im Mund hatte, und stocherte in der Asche des Dungfeuers. »Blut und Tod sind unterwegs.« Mit dem Kinn deutete er in Richtung Norden. »Ich sehe nicht alles, was kommt, aber ich weiß, mein Weg ist vorgeschrieben. Wie ein Karibubulle in der Brunftzeit muß ich der Natur gehorchen.«
»Auch wenn das bedeutet, die Frau,
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