Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
Schwanz und winselte.
Gleichzeitig kam der Kopf der Frau aus dem Gewirr übereinandergestürzter Stämme hervor. Ihr langes Haar hing herab. Ihre Augen waren aufgerissen. Als sie herauskroch, konnte Berufkraut sehen, daß ihr Tränen über die Wangen gelaufen waren.
»Wer bist du?« fragte sie und hängte ihren Atlatl wieder an den Gürtel. Ihre Hände waren leer. »Egal.
Komm her! Wer du bist, ist nicht wichtig. Ich brauche Hilfe, und zwar sofort.«
Berufkraut steckte seinen Speer in den Köcher und befestigte seinen Atlatl an der Gürtelschlaufe.
Dann ging er zögernd zu ihr und kniete sich neben ihr nieder. Er konnte den durchdringenden Geruch von Blut wahrnehmen. »Wer ist dort drinnen? Sonnenjäger?«
Ängstlich musterte sie sein Gesicht. Dann nickte sie. »Ja. Kennst du ihn? Du hast Helfer gesagt, du seist ein Freund. Nur aus diesem Grund habe ich dich nicht, gleich nachdem ich hier herausgekommen bin, mit einem Speer durchbohrt.«
»Ich kenne Sonnenjäger. Er kommt oft in unser Dorf.«
»Dann hilf mir. Bitte! Er ist verletzt und bewußtlos. Da drin ist nur Platz für eine Person, und ich«, sie machte eine verzweifelte Geste, »… ich glaube nicht, daß ich ihn herauszerren kann.«
»Laß es mich versuchen.«
Sie stand auf und trat zur Seite. Berufkraut schaute sie an, als er zögernd Atlatl und Köcher neben ihren Waffen auf den Boden legte. Sie schien es nicht zu bemerken. Ihre Augen waren auf den Holzstapel gerichtet. Er legte sich auf den Bauch und kroch in die dunkle, aus umgefallenen Bäumen und einem Gewirr von Ästen gebildete Höhle. Dünne Strahlen des Mondlichts drangen in die Dunkelheit vor. Der Geruch von Moos und Packrattenkot vermischte sich gräßlich mit der durchdringenden Ausdünstung des Blutes.
Sonnenjäger lag auf seiner linken Seite und hatte einen Arm ausgestreckt. Die Kleidung war in Fetzen gerissen, seine Brust entblößt. Entsetzt keuchend arbeitete sich Berufkraut weiter vorwärts. Sonnenjägers Arme und Beine waren mit Biß- und Kratzwunden übersät. Berufkraut berührte eine der dunkel auf dem Boden glänzenden Pfützen. Sie fühlte sich klebrig und kalt an.
Heilige Geister…
»Sonnenjäger!« rief Berufkraut und glitt näher zu ihm heran. Er konnte Sonnenjägers Gesicht nicht deutlich erkennen, doch die tiefliegenden Augen des Träumers waren noch stärker eingesunken, und sein kantiges Kinn und das weiße Haar waren mit Blutspritzern bedeckt.
Berufkrauts Herz begann vor Angst wie rasend zu hämmern. War Sonnenjäger etwa tot? Nein, nein, so schlimm sahen die Wunden nicht aus. Und doch … Berufkraut legte die Finger auf Sonnenjägers Hals.
Als er den stetigen Rhythmus des Herzschlags fühlte, atmete er erleichtert auf. Er ließ die Hand sinken. »Sonnenjäger!«
»Beeil dich!« drängte die Frau, die sich am Rand des Stapels niedergekniete hatte. »Bring ihn da raus, damit ich mir seine Wunden richtig ansehen kann.«
»Es wird nicht so einfach sein, ihn da rauszuziehen«, rief Berufkraut zurück. »Ich denke, er ist von einem Bären oder vielleicht einer Großkatze angegriffen worden. Ich habe vorhin einen abgebrochenen Speerschaft gefunden. Das Tier ist wohl geflohen. Ich brauche deine Hilfe, damit die Wunden nicht wieder aufbrechen, wenn wir ihn bewegen. Er darf nicht noch mehr Blut verlieren.«
Berufkraut kroch rückwärts heraus. Nach der Dunkelheit in dem wirren Stapel trockenen Holzes kam ihm das Mondlicht strahlend hell vor. Ein alter Baumriese mit einem Stamm so dick wie drei Männer war hier umgefallen und hatte die kleineren Bäume mit sich gerissen. Einen Moment betrachtete er das Holz, dann nahm er seine ganze Kraft zusammen und versuchte, einen der Stämme beiseite zu zerren.
Der Stamm ließ sich anheben, aber auch unter Aufbietung all seiner Kräfte nicht aus dem Gewirr herausziehen.
Einen Seufzer ausstoßend lehnte er sich an ein Stammende und schaute die Frau an. »Wenn du als erste hineingehst und dich hinter Sonnenjägers Kopf hockst - ich glaube, der Platz dort reicht für dich und ihm dann die Arme über der Brust zusammenlegst und darauf achtest, daß sie nicht wieder herunterfallen, dann kann ich ihn an seinen Füßen herausziehen. Ich habe Angst, daß seine zerrissenen Ärmel sich in einem Aststumpf verfangen könnten und mehr Schaden anrichten …«
»Ich verstehe. Mach mir Platz, damit ich hinein kann.«
Berufkraut rückte zur Seite, und sie kroch an ihm vorbei. Er konnte hören, wie sie mit tränenerstickter Stimme Sonnenjäger
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