Vorzeitsaga 05 - Das Volk an der Küste
leise ansprach. »Ich bin da, Sonnenjäger. Du wirst wieder gesund. Mach dir keine Sorgen. Ich bin da.«
Berufkraut legte sich auf den Bauch und spähte in die Dunkelheit. Er konnte die Frau erkennen. Sie hatte Sonnenjägers weißhaarigen Kopf sanft angehoben, so daß sie um ihn herum in eine Lücke im Gewirr der Äste schlüpfen konnte. Zwei abgebrochene Äste waren durch ihren Fall in den Boden getrieben worden und bildeten einen V-förmigen Raum, der gerade groß genug für sie war. Sanft streichelte sie Sonnenjägers Wange, bevor sie ihm vorsichtig die Arme über die Brust legte.
Berufkraut zog finster die Brauen zusammen. Selbst ein Idiot hätte aus dem Klang ihrer Stimme und aus der Art, wie sie Sonnenjäger berührte, erkennen können, daß sie Liebende waren … wie unwahrscheinlich auch immer es schien, daß Sonnenjäger eine Geliebte haben sollte.
»Ich bin fertig!« rief sie Berufkraut zu. »Wenn du jetzt ziehst, halte ich seine Arme fest.«
»Warte, ich muß seine Beine noch richtig packen.« Er schloß die Hände um Sonnenjägers Fußgelenke genau unterhalb der aufgerissenen Waden. Seine Hände wurden feucht von glitschigem Blut. »Ich fange jetzt an zu ziehen.«
»Ja, los.«
Berufkraut zerrte Sonnenjäger langsam heraus. Die Frau hielt die verletzten Arme des Träumers mit einer Hand auf seiner Brust fest. Die andere Hand hatte sie schützend unter seinen Kopf gelegt.
Als Berufkraut es endlich geschafft hatte, Sonnenjäger ins Mondlicht zu ziehen, fiel die Frau neben Sonnenjäger auf die Knie und untersuchte seine Wunden. Während sie jede Wunde an Sonnenjägers mächtigem Körper berührte, stieß sie leise Klagelaute aus.
»Bist du nicht Stechapfels Frau?« fragte Berufkraut.
Sie schaute nicht einmal auf. Die Hand ausstreckend bat sie: »Gib mir dein Messer oder eine scharfe Steinschneide, was du eben hast. Ich muß seinen Ärmel abschneiden, damit ich die Armwunde verbinden kann. Sie sieht am gefährlichsten aus.«
Berufkraut durchsuchte seinen Beutel nach seinem Feuersteinmesser und gab es ihr. Sie schnitt ein Rechteck aus Sonnenjägers Ärmel. Darunter kamen die kräftigen Armmuskeln zum Vorschein und die tiefen Fleischwunden. Geronnenes Blut und alte Kiefernnadeln waren zusammengebacken und bildeten eine dicke Schicht auf seinem Oberarm. Sie schnitt die Enden des Lederstücks ein, band es um Sonnenjägers Arm und verknotete zum Schluß die eingeschnittenen Enden.
»Es wäre zu gefährlich, seine Wunden hier zu waschen«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Wir müssen ihn in dein Dorf bringen, wo man sich richtig um ihn kümmern kann. Ich muß einen Kräuterumschlag auf die Wunden machen und die richtigen Pflanzen dafür finden. Bete, daß keine bösen Geister das Blut riechen und sich über ihn hermachen, bevor wir die Wunden säubern und verbinden können.«
Berufkraut nickte. Helfer saß mit gespitzten Ohren seitlich von ihnen. Durch die Äste hinter ihm drang das Funkeln der am hellsten strahlenden Angehörigen des Sternenvolkes, denen es gelang, den Mantel des Mondlichts zu durchdringen. Berufkraut stand auf und sagte: »Schneide eine Handvoll Fransen von seiner Jacke. Wir brauchen sie, um ein Schleppgestell zusammenzubinden. Ich werde jetzt nach Stämmchen für die Stangen suchen.«
Sie streichelte Sonnenjägers blutiges Haar. Es war deutlich zu sehen, daß sie nicht von ihm weggehen wollte. »Ich habe den Pfad hinauf ein Kiefernwäldchen gesehen. Die Kiefern sahen so aus, als hätten die großen Bäume ihnen alles Licht weggenommen und sie wären abgestorben.« Sie zögerte, biß sich auf die Unterlippe und sagte dann: »Warte! Ich komme mit. So geht es schneller.«
Berufkraut schaute zu, wie sie die Hände zu Fäusten ballte und aufstand. Sie mußte etwa in seinem Alter sein, vielleicht ein wenig älter, fünfzehn oder sechzehn Sommer. Was war es, das ihn an ihr so tief berührte? Er hatte nicht genug Erfahrung mit Frauen, um ihre Wirkung auf ihn zu verstehen. Ihre Art sich zu bewegen, ihre Gesten alles gab ihr den Anschein eines kleines Mädchen, das sich als Frau verkleidet hatte.
Und doch hatte sie etwas an sich, das mit der Schärfe einer Speerspitze aus Obsidian direkt in sein Herz eindrang. Er schluckte heftig. Das sähe ihm ähnlich, sich unversehens in Sonnenjägers Frau zu verlieben. Sonnenjäger würde ihn dafür wahrscheinlich in eine Schraubenalge verwandeln.
Hastig ging er los. »Wo, hast du gesagt, sind diese Kiefernstangen?«
Sie führte ihn, und Berufkraut
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