Vorzeitsaga 07 - Das Volk der Blitze
wusste Mondschnecke natürlich. Seit vielen zehn Sommern hatte Hundszahn nicht mehr in einer Gemeinde gelebt. Er war immer ein Einsiedler gewesen, irgendwo mit seiner Seele tanzend, und diese lange Abgeschiedenheit hatte ihn geprägt. Immer wenn er den Mund aufmachte, verletzte er jemanden, und schon sein irres Lächeln allein trieb die Menschen in die Flucht.
»Was soll ich deiner Meinung nach tun?« fragte ihn Mondschnecke mit finsterem Gesicht. »Ihn abweisen?«
Schwemmstock grollte. »Einen Seelentänzer zu erzürnen ist, soviel ich weiß, der beste Weg, sich einen Tod zu sichern, der kurz und schmerzlos ist.«
»Richtig, dir widerfährt dann ein schneller Tod. Aber ich bin gar nicht so erpicht darauf, meine Verwandten im Dorf der Verwundeten Seelen wieder zu sehen. Du etwa?«
»Nein, jedenfalls nicht in der Gestalt von Seeschlamm oder einer Meergurke, da würde mich ja niemand mehr erkennen.«
Mondschnecke nickte. »Das habe ich mir gedacht.«
Sie hob ihren Stock und bedeutete der Menge, ihr Gemurmel einzustellen. Das ›Pst!‹ der Eltern brachte die Kinder zum Schweigen; alle sahen erwartungsvoll auf. »Schwanzfeder berichtet, dass die Lagune der Seekuh ein guter Platz ist. Wenn wir jetzt packen und Stangen für die Travois zurechtschneiden, könnten wir in ein paar Tagen aufbrechen. Unsere neuen Verwandten werden wahrscheinlich schon dort sein, wenn wir ankommen. Wir wollen sie nicht warten lassen.«
Die Menge löste sich auf, aber Schwanzfeder blieb noch vor ihr stehen.
»Was ist?« fragte Mondschnecke. »Gibt es noch etwas?«
Schwanzfeder nickte. »Ja, Älteste. Hundszahn erzählte mir von einem Traum. In dem Traum sah er, wie Krieger Windeck-Dorf überfielen.«
Schwemmstock kam näher, sein altes Gesicht jetzt todernst. »Die Krieger von Kupferkopf?«
»Das hat er nicht gesagt. Wahrscheinlich weiß er es nicht.«
Mondschnecke und Schwemmstock tauschten sorgenvolle Blicke aus. »Heilige Sonnenmutter!«
flüsterte Mondschnecke. »Komm in meine Hütte, Schwanzfeder. Du auch, Schwemmstock. Das müssen wir besprechen.«
»Es ist vielleicht das Beste für uns alle«, meinte Schwemmstock, »wenn wir Krieger vorausschicken, während wir hier fertig packen. Unseren neuen Verwandten in Windeck-Dorf könnten sie vielleicht nützlich sein.«
Mondschnecke stützte sich auf Rotalges Arm, um zu ihrer Hütte zurückzukehren. Schwemmstock und Schwanzfeder folgten ihr und redeten leise miteinander.
Rotalge sah Mondschnecke von der Seite an. »Glaubst du, Teichläufer ist dann da, wenn die Krieger angreifen?«
Mondschnecke zog ihren runzligen Mund zusammen. »Wer kann das wissen?«
Rotalge nickte. Sie schaute wieder zu Boden, und Mondschnecke setzte ihren Stab mit großer Vorsicht auf. Sie fühlte sich auf einmal sehr unsicher auf den Beinen.
Als es Abend wurde, schob Teichläufer seine Kapuze zurück und ließ sein langes weißes Haar im kühlen Wind frei wehen. Über ihm kreisten kreischende Möwen. Er war eilends den Strandbogen entlanggegangen, und die Meerfrau hatte ihm die Füße gewaschen. Der Sand glitzerte purpurn, als die Sonnenmutter hinter den westlichen Horizont glitt, und der türkisfarbene Himmel färbte sich blaugrau.
Muscheln hatten sich in den Sand gebohrt. Er sah ihre Luftlöcher, die ihn daran erinnerten, dass er Hunger hatte. Er hatte heute noch nichts gegessen, um sein Tempo beibehalten zu können. Doch bald musste er ohnehin innehalten und sein Nachtlager bereiten.
In der Zeit, die inzwischen verstrichen war, hatten sich seine Ängste nicht vermindert. Sie blieben so beständig wie sein Herzschlag, auf seine Ängste konnte er sich verlassen. Noch nie in seinem Leben war er so allein aufgebrochen. Schon zu wissen, dass ihm feindliche Krieger im schwarzen Gewoge der Bäume zu seiner Linken auflauern könnten, jagte ihm solche Angst ein, dass er kaum klar denken konnte.
»Aber das macht nichts«, murmelte er. »Ich muss sie finden. Sie braucht mich.«
Er hatte Windeck-Dorf so schnell verlassen, dass er nicht daran gedacht hatte, eine Waffe von dort mitzunehmen, und die Vorahnung unmittelbar bevorstehenden Unheils lastete auf ihm wie ein Baumstamm auf der Brust, der immer schwerer wurde, je weiter er kam. Nicht einmal ein Dolch hing an seinem Gürtel, geschweige denn ein Atlatl oder eine Kriegskeule. Was war er nur für ein Narr!
Wenn ihn Rotalge jetzt sähe, würde sie ihm schon wegen seiner Dummheit den Tod androhen. Sie war seine Führerin durch eine Welt verschwommener Bilder
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