Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Kleid bernsteinfarben. Palmlilie, in Gedanken versunken, saß ihr gegenüber. Er wirkte auffallend gelassen.
Sie beugte sich über die Reihe der Töpfe entlang der Westwand des Häuschens, hob den Deckel über dem Buchweizen ab und nahm sich eine Handvoll in die Schale, die sie in der Hand hielt. Dann fügte sie getrocknete Johannisbeeren, Bienenkraut-Blätter und zuletzt einen Schuß Reisgräsermehl hinzu. Draußen hüpften Wanderdrosseln von Kaktus zu Kaktus und ließen melodische Lockrufe hören. Ein kühler Wind, der durchs Fenster kam, trug die schrillen Schreie eines Bussards herbei. Gerüche von feuchtem Moos stiegen vom Bach unterhalb von Lanzenblattdorf auf.
Distel kam zum Feuer zurück, setzte die Schale ab und schürte das kleine Feuer mit einem Wacholderstecken. Funken stoben auf und erloschen, bevor sie die verrußten Deckenstangen erreichten.
Ein roter Topf mit kochendem Wasser hing über dem Rand des Feuers.
»Es muß alles in Ordnung sein mit ihnen«, sagte sie zu Palmlilie, der an seiner Tasse mit Yuccablättertee nippte. »Wenn nicht, dann wüßten wir's jetzt sicher. Ich meine -«
»Distel, es geht ihnen gut«, wiederholte Palmlilie nun schon zum fünften Mal an diesem Nachmittag. In seinem schmalen Gesicht zeigte sich seine Reizbarkeit. Er trug ein langes rotes Hemd und hatte sein schwarzes Haar zu einem Knoten am Hinterkopf zusammengebunden. »Steinerne Stirn hätte uns schon längst berichtet, wenn etwas schiefgegangen wäre. Er hat bestimmt Maisfaser mit Hirschvogel munter plaudernd angetroffen und gesehen, wie Vogelkind meinem Vater mit seinen Fragen, wie man Steinwerkzeuge herstellt, auf die Nerven fällt. Hör auf, dir Sorgen zu machen. Das ist völlig sinnlos.« Sie fuhr sich nervös über die Lippen. Die Fransen ihres gelben Kleides wischten über die Binsenmatte, als sie sich setzte. »Du bist verstimmt über mich, nicht wahr?«
Palmlilie lächelte freundlich. »Unsere beiden sind noch nie zur selben Zeit fort gewesen und noch nie für so lange. Deine Unruhe ist verständlich. Aber du machst dich verrückt, und dazu besteht kein Grund, Distel. Die beiden sind in Sicherheit, und das war es, was wir wollten. Es ist ja nur für die Dauer eines Mondes.«
Distel schüttete den Inhalt der Schale mit Johannisbeeren, Mehl und Bienenkraut in das kochende Wasser und rührte mit einem Hornlöffel darin herum. Ein angenehm pikanter Duft entstand. Die Johannisbeeren würden dem Buchweizengebräu Süße geben, und das Reisgräsermehl würde es verdicken. Die Suppe würde gut zu dem Kürbis passen, der jetzt über dem Feuer kochte. Vielleicht könnte sie anschließend noch ein wenig von dem gehorteten Puffmais mit etwas Fett in den Rösttopf geben und sich mit dem Genuß über ihre Sorgen trösten.
Sie beugte sich über den brodelnden Topf und atmete den Duft mit weit offenen Nasenlöchern ein. Ihr Magen knurrte schon vor Vorfreude.
Sie legte den Rührlöffel auf einen Herdstein, setzte sich zurück und hob ihre eigene Teetasse. Während sie trank, glitt ihr Blick zu den aufgestapelten Schlafmatten zu ihrer Linken. Daneben stand Vogelkinds privater Korb, in dem er all seine wertvolle Habe aufbewahrte. Die Antilopenhufrassel, die er nach seiner ersten Kiva-Einweihung erhalten hatte, lag obenauf. Der Korb von Maisfaser stand auf der rechten Seite. Zwei wunderschöne Halsketten aus Olivella-Schneckengehäusen lagen eingebettet in bunten Schärpen. Eine quälende Sehnsucht erfüllte Distels Herz. Sie vermißte ihre Kinder so. Sie waren erst vier Tage fort, aber es kam ihr viel länger vor.
Schrilles Kreischen durchschnitt die Dämmerung, mit dem Wind steigend und fallend. Rufe der Überraschung schallten von der Plaza des Lanzenblattdorfs, dann Schreie.
Palmlilie und Distel sprangen gleichzeitig zur Tür und warfen den Vorhang zurück, um hinauszusehen.
Krieger strömten durch das Dorftor unten herein, die Gesichter düsterrot im Feuer des Sonnenuntergangs. Sie traten Truthähne aus dem Weg, erschlugen bellende Hunde mit Kriegskeulen und schössen Pfeile in die Menge der Fliehenden.
»Ihr heiligen Götter, was geht hier vor… ?« flüsterte Palmlilie.
Ein riesiger Krieger packte Kleeblatt, die Ehrwürdige Mutter, an ihrem gebrechlichen alten Arm, wirbelte sie herum und schlug ihr mit der Keule auf den Kopf. Als sie schwankte, aber noch nicht fiel, schoß ihr ein anderer Krieger einen Pfeil in den Bauch. Sie brach zusammen, zuckte noch hin und her, das weiße Haar blutgetränkt. Ihre Schreie
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