Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
Vom Netzwerk:
die Knie an, unter ihr Kinn, und starrte ins Dunkel. Ihr Volk würde sie nicht aufgrund von Gerüchten oder Klatsch verurteilen, doch wenn es einen Beweis für ihre Untreue geben sollte, könnte man befinden, daß sie den Tod oder die Verbannung verdiente. Es käme auf dasselbe hinaus. Eine Verbannung würde sie aus ihrem Heim vertreiben, in die Wüste, wo sie langsam zu Grunde gehen müßte. Kein Clan der Gemachten Menschen würde es wagen, sie aufzunehmen. Ihre Verwandten unter den Ersten Menschen, entehrt durch ihr ans Licht gekommenes Vergehen, würden sich weigern, ihr Zuflucht zu gewähren.
    Draußen krächzte ein Rabe, laut und heiser, vielleicht im Kampf um Nahrung; ihre Gedanken schweiften ab. Gab es da wirklich ein Kind? Wie denn? Hatte Nordlicht gelogen?
    Bevor Krähenbart auf seine Geschäftsreise zu den Hohokam ging, hatte er sie gequält und Wolkenspiel mißhandelt. Nachtsonne war so außer sich gewesen, daß sie sogar erwogen hatte, sich von ihm zu trennen, was allerdings Schande über sie beide gebracht hätte. Sie hatte sich im Bauch eines Ungeheuers befunden, bevor sie wahrnahm, was geschah. Ein erstickendes Dunkel hatte ihre Seele in sich aufgesogen; sie war sich selbst fremd geworden, sie hatte nicht einmal das Gesicht der Frau erkannt, die ihr aus dem Pyritspiegel entgegenblickte. Diese verstörten, verschreckten Augen, das konnten nicht ihre sein…
    In ihrer Verzweiflung hatte sie das nächste Gesicht ins Auge gefaßt, das etwas Güte ausdrückte. Sie hatte sich so lange an diesen Menschen geklammert, bis sie dem Lichtstrahl folgen und dem Dunkel entkommen konnte.
    Dieses Gesicht war das von Eisenholz gewesen.
    Sie hatte sich ihm zugewandt - und er hatte sie mit ganzer Seele geliebt.
    Als die Schwangerschaft sichtbar wurde, hatte sich Nachtsonne in ihren Zimmern eingeschlossen und selbst ihren treuesten Sklavinnen, Rehkitz und Trauertaube, verboten einzutreten. Nur ihrem Neffen Nordlicht hatte sie vertraut. Er hatte ihr Essen und Wasser gebracht, für sie die Flöte gespielt und sie mit sanfter Stimme beruhigt, damit sie ihre Ängste vergessen konnte.
    Die Wehen hatten vor Morgengrauen angefangen. Bei Sonnenaufgang hatte Nordlicht sein Muschelhorn genommen und das Dach über Krähenbarts Zimmer erklommen, um die Bevölkerung herauszurufen. Er hatte verkündet, daß ihm ein entsetzlicher Traum geschickt worden sei; jedermann mußte Krallenstadt sofort verlassen. Die Götter selbst hatten es so befohlen. Er würde Nachricht geben, wann man wieder sicher zurückkehren könne. Zu Tode erschrocken waren die Leute gegangen. Eisenholz hatte sie für einen Tag nach Kesselstadt geführt.
    Nun hatte Nachtsonne schreien können, soviel sie wollte. Nur Nordlicht und die leere Stadt konnten sie hören.
    Nordlicht war keinen Augenblick von ihrer Seite gewichen. Bei Sonnenuntergang war das Kind herausgeglitten. Nordlicht hatte es in eine schöne Decke gewickelt und war damit verschwunden. Bei der Rückkehr erzählte er Nordlicht, das Baby habe keinen Laut von sich gegeben, es müsse schon tot zur Welt gekommen sein.
    Schuldbewußt, zerknirscht und überzeugt, die Götter wollten sie bestrafen, war sie nur zu gern bereit gewesen, ihm zu glauben. Als Krähenbart von den Hohokam zurückkehrte, hatte Nachtsonne sich erholt und konnte ihren Mann begrüßen, als wäre nichts geschehen.
    Aber ihr Leben war zerstört.
    Sie war einsam und verängstigt und hatte sich nach Eisenholz gesehnt. Sie hatten sich geliebt und ein wunderbares Kind gezeugt und verloren; nur in seinen Armen konnte sie Trost für ihren Kummer finden… einen Trost, den sie nicht zu suchen wagte.
    Täglich gingen sie aneinander vorbei - ohne ein Wort, ohne einen Blick. Und als die Monde vergingen, einer nach dem anderen, hatte das »tote« Baby sie unaufhörlich in ihren Träumen beim Namen gerufen, und das zog sie hinab in eine Unterwelt von Schmerz und Zweifel. Nachtsonne schlang die Arme um sich. Nordlichts Worte hatten eine Tür in ihrer Seele geöffnet, die sie nicht mehr versiegeln konnte.
    War es möglich, daß das Kind lebte?
    »Ihr heiligen Thlatsinas«, betete sie. »Wenn mein Sohn am Leben sein sollte, dann bitte ich euch: Tötet ihn.« Die Tränen rannen ihr warm über die Wangen. »Tötet ihn, bevor die Krieger ihn finden.«

    Der Sonnenuntergang flammte über den Himmel und erhellte die Berggipfel im Norden und Osten mit Feuer. Der Messingschein fiel durch das Fenster hinter Distel, überzog die weißen Wände und färbte ihr gelbes

Weitere Kostenlose Bücher