Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
den von ihm aufgewirbelten Staub. Der Pfad schnitt durch den Wacholder und führte auf den gegenüberliegenden Hang. Steinerne Stirn übersprang einen Baumstamm, dann verlor sie ihn aus den Augen.
Vogelkind schoß an der Gabelung vorbei; er folgte Steinerne Stirn und verschwand im grünen Gewirr. Maisfaser blickte kurz auf den Pfad, der zum Haus ihrer Tante führte, und zwang sich zu noch schnellerem Lauf. Sie keuchte den Hang hinauf, geduckt unter den niedrigen Wacholderzweigen hindurch.
Auf der Anhöhe sah sie, daß Steinerne Stirn ihr weit voraus war. Er war richtig in Schwung gekommen und kam mit seinen langen Beinen immer weiter voran. Vogelkind rannte hinter ihm her. Im schwächen Abendlicht schrumpften sie zu schwarzen Schattenbildern. Der fahle Schein vor ihnen erwies sich als vernichtendes Feuer; was sie vorher für Wolkentürme über dem Dorf gehalten hatte, verwandelte sich in große wogende Rauchwolken. Vom Windjungen gepeitscht, verlängerten sie sich und wurden dünne Aschestreifen, die ostwärts trieben. Die Röte der Glut stieg in die Nacht auf wie eine feurige Blase.
Maisfaser rannte mit aller Kraft; die Angst trieb sie an. Mutter! Heilige Thlatsinas, bitte nicht Mutter! Die Sehnsucht nach der tröstlichen Umarmung der Mutter überwältigte sie. Sie betete so inbrünstig wie nie zuvor: »Wenn ihr etwas geschieht, o Thlatsinas, laßt sie nicht sterben. Bitte, laßt sie nicht sterben!«
Steinerne Stirn und Vogelkind gewannen einen immer größeren Vorsprung. Maisfaser rang nach Luft. Sie zwinkerte die Tränen zurück, als sie schwarze Stellen im Pfad übersprang. Vielleicht waren es nur überschattete Mulden, aber oft fielen Äste und Felsbrocken in solche Mulden, und einen Sturz konnte sie sich nicht leisten.
Ihr Vater hatte gesagt, daß jemand, der dem versteckten Kind schaden wollte, das gleich nach dem Tod des Häuptlings versuchen würde. War die Gesegnete Sonne jetzt gestorben? Oder hatten die ruchlosen Turmbauer oder die verfluchten Feuerhunde Lanzenblattdorf überfallen? »Mutter?« rief sie. »Vater?«
Vielleicht waren ihre Eltern gar nicht im Dorf. Vielleicht waren sie beim Sammeln von Kakteen-Blattpolstern oder jagten Kaninchen.
Die traurigen Augen ihrer Mutter erschienen ihr in der Dunkelheit, voller Liebe und Sorge. »O meine Tochter, du bist meine Freude, vergiß das nie!«
Maisfaser stampfte über einen Erdbuckel und schluchzte so, daß sie beinahe erstickte. Je näher sie dem Dorf kam, um so lauter prasselten die tosenden Feuer. Schwache Schreie tönten durch das Chaos. Keuchend, mit luftgierigen Lungen, erklomm sie den Hügelkamm … und da zitterten ihr die Knie; sie taumelte und fing sich gerade noch rechtzeitig, sonst wäre sie gefallen.
Das Dorf war ein Flammenmeer, und die Erde bebte, als ein brennendes Dach nach dem anderen zusammenbrach und in die Häuser hineinfiel. Funkenstürme stoben zum Himmel empor und schwebten gemächlich durch blutrote Rauchwolken.
Weiden- und Binsenmatten waren in die Flammen geworfen worden. Maisfaser preßte die zitternden Knie zusammen. Schwarzes Pech lief in Streifen über die Wände. Die Krieger hatten offenbar das Bettzeug herausgezerrt, unten um die Wände herumgepackt, dann Pech über die Behausungen gegossen und sie in Brand gesetzt.
Steinmauern blieben stehen und markierten das Viereck der Häuser, das die Plaza umgrenzt hatte, doch das Innere der Bauten brannte lichterloh. Angekohlte Kiefernpfosten - alles was von den Dächern übriggeblieben war - ragten vor dem orangefarbenen Feuerbrand hoch wie verbrannte Arme, die den Himmel um Hilfe anflehten.
Klagelaute blieben ihr im Halse stecken. Sie zog einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn im Bogen ein und lief tiefgebückt durch hohes Gras am Rand eines Maisfelds. Sie betete darum, ihr Haus noch sehen zu können. Oder war es auch verbrannt? Sie schlich näher - und sah ihr Haus. Drei Wände standen noch, aber die Seite, die aufs Dorf hinausging, war nur noch ein Schuttberg. Erschreckt schaute Maisfaser nach Menschen aus. Niemand stand jenseits des Lichtscheins. Wo waren sie hingegangen? Wo waren ihre Eltern ? Und Zikade ? Hatten die Dorfbewohner die Angreifer kommen sehen und noch vor ihrer Ankunft die Flucht ergriffen?
Sie kroch zu der Anhöhe hinter dem Haus, von der aus man das ganze Dorf überschaute. Da hörte sie Stimmen. Eine alte Frau weinte bitterlich, ein Mann gab barsch Befehle aus.
Maisfaser legte sich ganz auf die Erde und glitt durch den Sand bis zu der großen Yucca,
Weitere Kostenlose Bücher