Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Energie nach solch langem Fasten.
Maisfaser schüttelte den Kopf. Wie konnten er und Düne auf diesem kalten, harten Boden schlafen ? Sie hatte sich die ganze Nacht herumgeworfen und vergebens versucht, eine bequemere Stellung zu finden - und die Stimmen ihrer Ahnen, die aus den Unterwelten herauftönten, möglichst nicht zu hören.
Sie hatten nach ihr gerufen und gerufen.
Und sie hatte nicht gewußt, was sie ihnen sagen sollte. Maisfaser atmete tief ein, langsam und zögernd. Mitten in der Nacht hatte sie Asche aus der Feuergrube geschöpft und sie sich über Gesicht, Arme und Beine gestrichen, um die Geister, die nach ihr jagten, zu täuschen. Und in der ganzen restlichen Nacht hatte sie immer wieder neue Asche geholt und gewünscht, sie hätte ihrer Mutter besser zugehört, als sie sie darüber belehrt hatte, wie man zornige Geister besänftigt. Beim Gedanken an ihre Mutter schloß Maisfaser die Augen … Sie war jetzt wohl selbst ein zorniger Geist.
Geräuschlos stand sie auf und rollte die Decke zusammen. Die Maus ließ sie nicht aus den Augen, rannte aber nicht weg.
Maisfaser nahm den Stecken, den sie am Abend zum Stochern benutzt hatte, und trennte damit die Glut und die Asche, die sie beiseite schob. Als sie ein größeres Scheit herauszog, kam der Holzstapel ins Rutschen, und Äste fielen knatternd auf den Boden; die Maus zuckte zusammen, floh aber nicht, und Sängerling schnarchte weiter. Maisfaser legte mehrere Zweige behutsam auf die Glut und beugte sich vor, um zu blasen.
Das Feuer knisterte; als die Flammen sich durch das Anmachholz fraßen, legte sie größere Holzstücke nach, bis es gleichmäßig brannte.
Sie löste Bogen und Köcher von ihrem Bündel und streifte sie sich über die Schulter. Dann wühlte sie suchend darin herum und zog ihr Obsidianmesser hervor, das sie sich in den Gürtel steckte. Zuletzt löste sie die Rohlederriemen, an denen der Kochtopf über dem Dreifuß hing. Sie machte einen großen Bogen um die Maus, die noch eifrig knabberte, und ging geduckt durch den Türvorhang hinaus. Das Sonnenlicht glitzerte und funkelte auf dem bereiften Unterholz und dem Gras. Sie stieß weiße Atemwölkchen aus. Der majestätische Abhang türmte sich hoch über dem Canyon wie ein schlafendes Tier, stumm und mächtig. Die in den Stein eingehauenen Stufen wirkten wie dunkle Schrammen auf der Felsenoberfläche. Trauertauben hockten am Rand und gurrten melodisch. Ihre Stimmen besänftigten Maisfaser. Die Männchen ließen diese sanften melancholischen Laute hören, weil sie eine Gefährtin suchten; sie hoffte, die Weibchen würden sie hören.
Schatten klebten am kühlen Grund des Canyons, doch schmale hellgelbe Streifen fuhren über den Himmel, und die Gipfel der höchsten Kuppen standen schon im Licht. Fern im Süden erhob sich die Waisenkind-Kuppe wie ein einsamer Wachtposten. Dahinter wellte sich das Land in eine rote, goldene und grüne Unendlichkeit. Das tief erodierte Hochland war wie angenagt, als hätten die scharfen Zähne uralter Ungeheuer hier zugeschlagen. In jeder Rinne floß eine gewundene grüne Spur. Maisfaser ging um das Haus herum und leerte das Kloßwasser des gestrigen Abends über die hohen türkisfarbenen Beifuß-Sträucher aus. So hatte es sicher auch Düne gemacht, dachte sie, sonst wären die Pflanzen nicht so groß geworden. Danach setzte sie den Topf zu Boden, hob ihr grünes Kleid an und ließ ihr Wasser ab.
Sie schlenderte durch das Gebüsch, den ausgetretenen Pfad hinunter, der sich unten um das Kliff herumschlängelte. Die Welt war dunstig und roch würzig. Reifmuster glitzerten auf den Blättern und Kaktusstacheln. Alle ausgetretenen Pfade führten zum Wasser. Als sie ein Kind war, hatte ihre Mutter ihr beigebracht, daß sie nur einem guten Wildpfad zu folgen brauche, um Wasser zu finden. Sie schwang den Topf beim Gehen. Der sonnengebadete Abhang strahlte eine schwache Wärme ab, und sie erschauerte wohlig.
Maisfaser überschritt einen großen Felsblock… und blieb stehen. Rote Maiskörner lagen oben in einer Einkerbung. Eine Opfergabe? Für den Geist des Steins? Oder für ein Tier, das immer diesen Pfad benutzte? Sie sah sich um. Das war doch verblüffend, daß weder Mäuse noch Packratten die Opfergabe nachts schon vertilgt hatten. Hatte Sängerling seinen Schutzgeist gebeten, sie fernzuhalten? Ein schmaler Wasserabfluß hatte sich einen rauhen Weg neben der Klippe gebahnt. Maisfaser lächelte, als sie das kristallklare Auffangbecken sah, nur eine
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