Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
Vom Netzwerk:
Seele, und die durchscheinenden hautartigen Flügel der Libelle schwirrten dabei immer noch über den Himmel.
    »Manchmal ist mein Gedächtnis wirklich noch so klar wie ein Quarzkristall, und zu anderen Zeiten erkenne ich nicht mal mehr meinen Sohn. Dank sei den Geistern, daß er Verständnis zeigt.« Spannerraupe hatte immer Verständnis gehabt. Er wurde gleich nach ihrer Flucht aus dem Dorf der Feuerhunde geboren. Federstein war den ganzen Weg von Hunger geplagt nach Hause gerannt, den Säugling in den Armen, und hatte gebetet, daß sie Krallenstadt erreichen möge, bevor sie keine Milch mehr hatte.
    »Wie lange ist das her, alte Frau, hmm?« In Gedanken ging sie die vergangenen Jahre durch, während sie über ihre schmerzende linke Hüfte rieb. Im letzten Sonnenkreis war der brennende Schmerz viel schlimmer geworden. Mehr als eine Zeithand konnte sie nicht liegenbleiben, ohne daß schlimme Qualen sie peinigten. »Ich war vierzehn. Ja. Noch kaum eine Frau - was die Feuerhunde aber wenig kümmerte.«
    Einen Sonnenkreis lang und länger hatten sie sie brutal benutzt, sie gezwungen, Steine für ihre Häuser zu brechen, sie mit Knüppeln geschlagen, wenn sie hingefallen war oder in ihrer Arbeit nachließ, und sie oft vergewaltigt. Sie hatte keine Ahnung, wer der Vater von Spannerraupe war, und sie wollte es auch nicht wissen. Sie hatte ihn sicherlich gehaßt. Außerdem bestimmten die Leute des Rechten Wegs die Abstammung durch die Mütter. Spannerraupe gehörte ihr.
    Sie nahm ihren Truthahnfeder-Umhang und zog ihn sich über die verkrümmten Schultern. »Leicht war dein Leben sicherlich nicht, meine Liebe.« Sie lachte in sich hinein. Die Härten des Lebens formten den Charakter, und davon hatte sie nun mehr als genug.
    Ihre Mutter, Perlenauge, war kurz nach der Geburt von Federstein gestorben, und ihr Vater war zu seiner Familie in den Dörfern der Grünen Mesa im Norden heimgekehrt. Ihre Tante Weißfliege, Nordlichts Mutter, hatte sie aufgezogen, bis es zu dem Überfall der Feuerhunde gekommen war, die Weißfliege und ihren Mann, die Gesegnete Sonne, umbrachten und Federstein gefangennahmen. »Dank den Ahnen, daß Nordlicht und seine beiden Schwestern so jung waren. Wollen mal sehen…« Sie überlegte etwas. »Ich glaube, Nordlicht war drei Monde alt, und seine Schwestern hatten fünfzehn und dreißig Monde gesehen. Ja, so war es. Hätte Weißfliege sie nicht in Krallenstadt zurückgelassen, dann wären sie auch gefangengenommen worden. Oder umgebracht.«
    Die Leiter zur Dachluke war so mühsam aufzustellen, daß sie die Lust beinahe verlor. Doch ihre Neugier gewann die Oberhand, und sie mußte nachsehen, was draußen vor sich ging. Sie nahm den Krückstock unter den Arm, packte die Kiefernstangen und kletterte hinauf, Sprosse für Sprosse. Die alten Gelenke taten ihr weh, aber sie stieg empor in ein gleißendes Licht. Die Mittagssonne brannte durch dünne Wolken, übergoß die Wüste mit Strömen geschmolzenen Bernsteins und wurde grell von den weißgetünchten Mauern der Krallenstadt zurückgeworfen. Im Gegensatz dazu schimmerte die festgetretene Erde der Plaza in stumpfem Hellbraun.
    Federstein humpelte zum Rand des Flachdachs und schaute auf das Gewirr der Leute in der Mitte der westlichen Plaza hinab. Kinder und neugierige Hunde umringten die Erwachsenen. Gebell und Geschrei wurden laut, und jemand weinte untröstlich. Die Sklaven drängten sich zu einer Traube zerlumpter brauner Gewänder neben dem Einlaß zusammen.
    Federstein kniff die Augen gegen das strahlende Licht zusammen, um festzustellen, um wen im einzelnen es sich handelte. Als ihr das nicht gelang, ging sie widerwillig zur Leiter, die auf die Plaza führte, und kletterte hinab. Ihre Knie knackten wie grünes Anmachholz.
    Heftig atmend stand sie eine Weile am Fuß der Leiter und hielt sich an einer Sprosse fest. Der Windjunge blies ihr das braunrote Kleid um die schmerzenden Beine und fuhr ihr durchs graue Haar, das sich in ihren Wimpern verfing.
    Als ein Kind vorbeilief, packte sie es am Kragen seines braunen Hemdes. »Bleib mal stehen!« Der Junge reckte den Hals, um sie anzusehen. Sein schwarzes Haar war schlammverschmiert. Er mußte gerade von der Wasserrinne heraufgekommen sein.
    Federstein betrachtete ihn. »Wer bist du?«
    »Ich bin Adlerschwanz, Gesegnete Federstein. Was willst du von mir?« fragte er ängstlich. »Von welchem Clan bist du?«
    »Was?« fragte er. »Vom Coyote-Clan.«
    »Ah, ich erinnere mich an dich.« Sie ließ ihn los.

Weitere Kostenlose Bücher