Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels

Titel: Vorzeitsaga 09 - Das Volk des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gear & Gear
Vom Netzwerk:
Blutschande zu beschuldigen. Sonnenmuschel blickte hinunter in die lodernden Flammen in der Feuergrube und nahm all ihren Mut zusammen. Sie durfte sich nicht anmerken lassen, wie sehr sie litt. Ihre Tante Faserblatt würde beim kleinsten Zeichen von Schwäche auf sie einhacken wie eine Möwe, die einen zuckenden Einsiedlerkrebs in ihrer Gewalt hat.
    »Onkel«, sagte sie und richtete sich auf, »was ich Jaguar sagte, kann ich nicht zurücknehmen. Ich machte mein Angebot, und er nahm es an. Wenn du zu ihm gehen willst, um ihm zu sagen, er könne mich nicht haben, ist dies dein gutes Recht. Du bist mein Verwandter. Aber ich bitte dich, es nicht zu tun.«
    Sägender Zahn hob sein faltiges Gesicht zu ihr empor und blinzelte traurig. »Und warum, Nichte?«
    »Wie viele Blätterblüten ich gesehen habe, ist unwichtig. Ich kenne mein Herz, Onkel.« Sie zog eine Hand unter ihrem Umhang hervor und legte sie sich aufs Herz. »Ich habe Wilder Fuchs gelobt, dass ich ihm helfen werde. Und ich habe Jaguar gelobt, dass er mich haben kann, mit Leib und Seele. Ich werde diese Gelöbnisse nicht brechen. Wenn du also zum Jaguar gehst und ihm sagst, er könne mich nicht haben, werde ich ihm immer noch gehören. Ich werde mit ihm gehen, wohin er will, und tun, was er will. Ich …«
    »Mit Leib und Seele?« Die milchigen Augen von Faserblatt weiteten sich. »Was soll das heißen? Hat der alte Mann sich etwa in dich hineingeschoben, Mädchen? Willst du das etwa andeuten? Dass du uns abermals entehrt hast?«
    »O nein. Heilige Ahnen«, murmelte ihre Mutter. »Das hat er nicht getan, oder?«
    Sonnenmuschels wurden Knie weich. »Wenn er es wollte, Mutter, würde ich ihn nicht hindern. Ich gehöre ihm. Aber er hat mir nichts getan, er hat mich nicht einmal berührt. Noch nicht. Er … er war sehr lieb zu mir.«
    »Man sollte sie prügeln!«, schrie Faserblatt aus vollem Hals, und um Sonnenmuschel herum schien die ganze Welt zu versinken. Köpfe wurden gereckt, die Menschen wollten besser sehen. Die Vögel in den Bäumen erschraken und verstummten. »Wäre ich dein Onkel, Mädchen, dann würde ich dich jetzt mit einer Weidengerte züchtigen. Die Narben würden nicht wieder verheilen, das schwöre ich dir.«
    »Meine Versprechen würde ich trotzdem nicht brechen, Tante. Weder die gegenüber Wilder Fuchs noch die gegenüber Jaguar.«
    Das Gesicht ihrer Mutter war nass vor Tränen. »Ich habe mir solche Mühe gegeben«, sagte sie leise.
    »Als dein Vater starb, da warst du fünf, Sonnenmuschel, und nur deinetwegen blieb ich am Leben.
    Weil du mich brauchtest. Und ich … ich habe dich so geliebt. Ich habe versucht…«
    »Und jetzt siehst du das wunderbare Ergebnis deiner Mühsal«, sagte Faserblatt und streckte eine Hand anklagend gegen Sonnenmuschel aus. »Mädchen müssen gehorsam, bescheiden und arbeitswillig sein.
    Sonnenmuschel ist alles andere als das. Sieh nur, wie sie dasteht, mit einer Kriegskeule am Gürtel! Da glaubt doch jeder, sie wäre eine Weroansqua, hochmütig und stolz.«
    Sonnenmuschels Magen zog sich zusammen. Ihre Tante sprach die Wahrheit. Sie lehnte sich auf gegen die Dinge, die man sie gelehrt hatte. Aber je mehr sie herabgesetzt und gedemütigt wurde, desto entschlossener wurde sie. Es war ihr, als wäre eine unbekannte und bislang verborgene Person aus ihrem Inneren hervorgetreten. Sie wandte sich an Sägender Zahn. »Onkel, wenn du mit mir fertig bist, lass mich gehen; ich habe Pflichten gegenüber Jaguar.«
    Faserblatt stand auf, und ihre Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln. »Lass sie ziehen«, sagte sie zu Sägender Zahn. »Ich kenne sie nicht mehr. Sie ist unseres Clans unwürdig. Ab sofort ist sie kein Mitglied mehr.« Sie machte Anstalten, sich ins Haus zurückzuziehen.
    »Warte!«, rief Sonnenmuschels Mutter. »Faserblatt, das kann doch nicht dein Ernst sein. Oder etwa doch? O Sonnenmuschel, wie konntest du uns das nur antun? Wenn Faserblatt dich ausstößt … o Okeus, sei mir gnädig … dann darf ich nicht einmal mehr mit dir sprechen.«
    Sägender Zahn rieb sich das Gesicht. »Bitte, Sonnenmuschel, entschuldige dich bei deiner Tante.
    Gelobe …«
    »Zu spät«, sagte Faserblatt. »Es war mein Ernst. Sonnenmuschel ist aus unserem Clan ausgestoßen.
    Von nun an ist es euch beiden verboten, mit ihr zu sprechen.« Mit einer scharfen Handbewegung durchschnitt sie die Luft. »Es ist aus!«
    Sägender Zahn stand auf und ging gesenkten Kopfes und mit hängenden Schultern über den Platz. Die Leute

Weitere Kostenlose Bücher