Vorzeitsaga 10 - Das Volk der Masken
seiner Krieger etwas einwenden konnte, einen gellenden Schlachtruf aus und stürmte Richtung Norden davon. »Folgt mir!«
»So warte doch! Nehmen wir die Kanus nicht mit?«, rief ihm Eichel hinterher.
»Sie sind zu Fuß unterwegs!«, brüllte Springender Dachs zurück. »Ich hab's gesehen!« Widerstrebend und ratlose Blicke tauschend rafften die Krieger ihre Decken und Bündel zusammen, um sich ihrem Kriegsführer anzuschließen.
Eichel trat vor Elchgeweih hin.«Was hältst du davon?«
»Ich weiß es nicht.«
Eichel fuhr sich über seinen borstigen Haarkamm, als wollte er die Spannung wegwischen. »Vielleicht sollten wir einfach versuchen, nicht darüber nachzudenken. Unsere Aufgabe ist es, den Befehlen unserer Anführerinnen zu gehorchen und Blauer Rabe, Zaunkönig und das Falschgesicht-Kind zu finden.«
Elchgeweih dachte eine Weile nach, bevor sie erwiderte: »Ja/ obgleich es nicht einfach ist, einen Befehl auszuführen, wenn das bedeutet, einem Mann zu folgen, der schon seit über einem Mond nicht mehr bei Sinnen ist.«
Eichels Mundwinkel hoben sich ein wenig, doch das Lächeln, das er versuchte, geriet mehr als gequält. »Was glaubst du wohin Blauer Rabe unterwegs ist?«
»Ich denke, dass er sich an Zaunkönigs Fersen geheftet hat. Deshalb muss die Frage eher lauten, wohin das Mädchen unterwegs ist.«
Ein Windstoß fegte über das vertrocknete Gras und ließ die Bäume aufstöhnen. »Ja, wohin? Zaunkönig ist noch nie über das Dorf des Schleichenden Wolfs hinausgekommen. Sie kennt diese Gegend hier überhaupt nicht. Und deshalb vermute ich, dass sie den Weg einschlägt, den das Falschgesicht-Kind ihr vorgibt.«
»Wenn dem so ist, steht uns einiges bevor. Ein Junge des Schildkrötenvolkes kennt sehr viel mehr Pfade als wir.«
»Richtig. Während der Frühlings- und Sommermonde ziehen diese Klans ständig umher.« »Möglicherweise weiß der Junge sogar von Schleichwegen, die außer ihm keiner kennt«, gab Elchgeweih weiter zu bedenken. »Als ich neun Winter alt war, bin ich an senkrechten Felswänden hochgeklettert, wenn es keinen anderen Weg gab.«
»Und hast jeden Berglöwen niedergerungen, der dich aufzuhalten versuchte, schätze ich mal.« »Warum hätte ich wohl mit ihm ringen sollen, wenn ich meinen Bogen dabei hatte, du Holzkopf?« Eichel grinste. »Ich hätte wissen müssen, dass du schon als kleines Mädchen eine erfahrene Bogenschützin warst.«
»Nicht sonderlich erfahren, dafür aber umso vermessener. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass ich …« Sie brach abrupt ab.
»Was ist denn?«
»Vielleicht ist das die Antwort.«
»Was? Kindliche Vermessenheit?«
»Vermessenheit und ein fester Glaube.« Elchgeweih ging um die Feuerstelle herum, wo ihr Bündel lag. Als sie den Arm durch den Lederriemen schob, sagte sie: »Es gibt nur eine Möglichkeit, sie zu finden, Eichel. Wir müssen wieder lernen, wie Kinder zu denken.«
Elchgeweih setzte sich energisch ausschreitend in Bewegung, um der Kriegertruppe zu folgen. Eichels Mokassins tappten stampfend hinter ihr her.
22. Kapitel
Maishülse biss herzhaft in ein saftiges Stück Wapitifleisch, kaute es schmatzend und schien sich nicht darum zu scheren, dass ihm das Fett vom Kinn auf den Mantel tropfte. Er rieb es einfach in das räudige Fell, packte den Leckerbissen dann mit beiden Händen und grinste seine Gastgeber zufrieden an. Sie hatten ihn auf einen Stapel Büffel- und Elchfelle gesetzt, randvolle Schüsseln mit Maisbrei, Bohnen und Walnussbrot vor ihn hingestellt und füllten seine Trinkschale ständig mit vergorenem Maisbier nach. Das Gebräu schmeckte mehr als scheußlich, enthielt jedoch eine starke Macht. Nach nur zwei Schalen machte er sogar alten Frauen schöne Augen!
»Ich habe immer höchste Wertschätzung für die Bewohner des Dorfes der Schweigenden Krähe empfunden. Eure Gastfreundschaft ist unübertroffen«, nuschelte er an einem dicken Fleischbrocken vorbei. Den spülte er mit einem großen Schluck Maisbier hinunter und wischte sich mit dem Ärmel den Mund ab. »Wie bereitet ihr dieses Getränk zu? Es ist köstlich.«
Gefleckter Frosch, das Oberhaupt des Klans, rülpste geräuschvoll und setzte ein geschmeicheltes Grinsen auf. Er war ein Mann von enormer Leibesfülle, dessen kunstvoll geflochtene Zöpfe ein dickes Gesicht umrahmten, in dem nur noch zwei Zähne blitzten - die beiden unteren, mittleren Schneidezähne. Der Schein des Feuers flackerte über das abschüssige Dach des spitzkegeligen Hauses und spiegelte
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