Voyager 023 - Endspiel
Sie es nicht. Ich bin impulsiv. Ich habe nicht alle
Konsequenzen berücksichtigt. Es ist zu riskant.«
Sonst noch etwas? Es gab mehr, noch viel mehr, und Janeway
hätte jede andere Person, die eine so verrückte Aktion plante,
deutlich darauf hingewiesen. Der Wind wehte übers Gras und
drückte es auf die Marmorplatte mit Chakotays Namen.
Einige Sekunden lang spielte Janeway mit dem Gedanken, das
Selbstgespräch fortzusetzen und Chakotay dabei als Vorwand zu
benutzen. Aber dann kniete sie sich ins feuchte Gras und
berührte den Grabstein.
»Danke für Ihre Hinweise, aber ich muss tun, was ich für
richtig halte.« Janeways Stimme versagte und sie holte
mehrmals tief Luft. »Ich weiß, dass es nicht leicht war, all die
Jahre ohne sie zu leben, Chakotay… Aber wenn ich dies
erledige, werden die Dinge vielleicht besser für uns alle.
Vertrauen Sie mir.«
Was für eine Art von Offizier war sie? Verunsichert, voller
Zweifel, besorgt, allein…
Das Gefühl, allein zu sein, erwies sich als eine besondere
Belastung. Ihr Erster Offizier war tot, wie auch viele ihrer
Freunde. Und die Lebenswege der anderen führten in
verschiedene Richtungen.
Jetzt wollte sie sich auf etwas einlassen, vor dem sie immer
gewarnt hatte: Sie wollte allein aufbrechen, ohne Hilfe. Es wäre
ganz leicht gewesen, mit Paris, Torres oder dem Doktor zu
sprechen und sie zu bitten, sie zu begleiten, wieder zu einer
Crew zu werden und ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um… ihr
Leben zu retten.
Nein, das kam nicht in Frage. Janeway musste allein los.
Wenn ihre Bemühungen erfolglos blieben… Dann konnten die
anderen an jenem Glück festhalten, das sie nach der Rückkehr in
den Alpha-Quadranten gefunden hatten.
Neue Sicherheit erfüllte Janeway, als sie aufstand. Das
Versprechen hing zwischen ihr und Chakotay in der Luft, noch
immer voller mystischer Kraft. Wenn sie nicht zurückkehrte…
Nun, dann brauchte sie wenigstens kein weiteres Treffen zu
ertragen.
Sie drehte sich um, ging fort vom Grab und glaubte, kurz
Chakotays Hand auf der Schulter zu spüren.
»Fünf-drei… drei-eins… sieben… eins… fünf-drei…«
Chaos herrschte im Zimmer. Das Bett war umgekippt, ebenso
der Schreibtisch, und überall lagen Zettel, über und unter dem
Durcheinander aus Laken und Decken. Die Kerze lag ebenso auf
dem Boden wie einige wenige persönliche Gegenstände.
»Es tut mir Leid, wenn ich Sie bei einer wichtigen
Angelegenheit gestört habe, Sir, aber er lässt niemanden an sich
heran. Ich dachte, vielleicht sind Sie in der Lage…«
»Sie haben richtig gehandelt.« Der frühere Bordarzt der
Voyager blickte auf den zusammengekauerten und leise vor sich hin brummenden Offizier, den er einst wegen seiner
unerschütterlichen Selbstbeherrschung bewundert hatte.
Commander Tuvok war die rationalste Person im begrenzten
Universum des Doktors gewesen, ein geistiger Bruder in
Hinsicht auf Vernunft und Logik. Kein anderes lebendes
Geschöpf konnte der Computerperfektion so nahe kommen: ein
vulkanischer Profi an Bord eines Starfleet-Schiffes.
Jetzt bot sich dem Doktor ein völlig anderer Anblick dar.
Tuvok hockte in einer Ecke des Zimmers und von seiner
einstigen Ruhe war nichts mehr übrig. Er litt an einer
neurologischen Krankheit, gegen die sich nichts ausrichten ließ,
nicht einmal mit den Mitteln der modernen Medizin.
Der Doktor und sein Kollege – ein junger Assistenzarzt, damit
beauftragt, sich die Aufzeichnungen dieser Abteilung anzusehen
– musterten den Commander kummervoll. Tuvok bekleidete
noch immer seinen alten Rang, was er Admiral Janeways
Einfluss verdankte. Immerhin war er im Dienst erkrankt.
Bis zu diesem Tag war Tuvoks Verhalten konstant gewesen.
Er schlief schlecht, manchmal mit Hilfe von Medikamenten, und
verbrachte die Tage im Halbdunkel, im Licht einer einzelnen
Kerze. Während dieser Tage durchsuchte er sein Wissen, das er
im Lauf vieler Jahre angesammelt hatte, und brachte mit einem
Bleistift unablässig Daten zu Papier. Sowohl die Kerze als auch
der Bleistift wurden täglich von Verwandten und Freunden
ersetzt. Es blieb rätselhaft, wonach er in seinem verwirrten Geist suchte. Niemand wusste, was er zu erreichen hoffte. Niemand
konnte ihm helfen.
»Fünf-drei… drei-eins… sieben… eins… fünf-drei… dreieins…«
Tuvoks Blick reichte in die Ferne. Er starrte nicht ins Leere,
wie andere Patienten, die den Verstand verloren hatten. Er
schien etwas zu sehen und zu
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