VT02 - Der gierige Schlund
Terrain hinab. Feuchtigkeit tropfte von den Wänden und verwandelte den hier lehmigen Boden in Schlick, über den sie ins Ungewisse glitten. Kinga hatte sich auf einen Lederflicken gesetzt und spreizte die Beine gegen die nahen Wände, sodass er die Geschwindigkeit dosieren konnte.
Zehn Meter ging es abwärts, bis er eine Zwischensohle erreichte. Zwei dunkle Löcher, ebenso schmal und Furcht einflößend, führten in weitere Tiefen.
Wieder entdeckte er einen Hinweis in der Schrift der Woormreiter. Der rechte Durchgang wurde als Gefahr bringend bezeichnet. Lourdes hingegen hatte kein Zeichen angebracht. Möglicherweise hatte die Zeit dafür nicht ausgereicht.
Die Kameraden sammelten sich hinter Kinga. Sie brachten weiteren Schlick mit sich. Ihrer aller Kleidung war voll mit dem schmierigen Zeug. Es legte sich in die Falten der Wänste, quetschte sich an Hosenbeinen und Brust ins Innere, erzeugte ein widerliches Gefühl.
»Nach links!«, befahl Kinga und schob sich in den Abgrund hinein, rutschte neuerlich auf dem Hosenboden dahin. Leise murrend folgten ihm seine Begleiter. Vompa als nächster, dahinter die Drillingsbrüder.
Das Gefalle wurde stärker, die Wände wichen zur Seite weg. Der Woormreiter stemmte die Beine mit aller Kraft in den Boden, ratterte über den unruhigen Boden hinweg, immer schneller werdend.
Die Fackeln und Kopflampen zeichneten nur noch Eindrücke seiner Umgebung; Kingas Sinne waren nicht mehr in der Lage, die Eindrücke rasch genug zu verarbeiten.
Hatte er die Zeichen falsch gelesen? Hätte er etwa den rechten Durchgang wählen sollen?
Müßig, darüber nachzudenken. Er musste sich auf die Situation konzentrieren, musste näher an eine Wand herankommen und dort einen Halt suchen…
Ein schmerzhafter Ruck. Ein breiter Felsklotz, über den er seitlich hinweg geglitten war. Er schleuderte Kinga herum und bremste ihn ein wenig ab. Ein Schatten raste in der Dunkelheit vorbei. Vompa, der nach ihm herabgerutscht war.
Kingas Fackel fiel zischend in den Schlamm und erlosch. Die Dunkelheit wurde noch greifbarer, noch schrecklicher.
Er touchierte eine Wand, tastete wild umher, fand aber nichts, um sich festzuhalten. Weiter ging die Fahrt hinab, einem ungewissen Ende entgegen. Vompa vor ihm schrie immer wieder laut auf, wurde, kaum erkennbar, hin und her getrieben.
Ein Ausgang, breit wie das Maul eines Maelwoorms! Vompa raste hindurch. Sein Schrei erstarb mit erschreckender Plötzlichkeit.
Kinga, ihm hinterher, prallte gegen weiche, nachgiebige Masse. Die Wucht drückte ihm die Luft aus den Lungen, presste seinen Oberkörper schmerzhaft zusammen. In einem endlos langen Moment spürte er, wie er ausgehoben und leicht wie eine Feder über das Hindernis hinweg geschleudert wurde. Der Flug schien einfach nicht enden zu wollen.
Mit dem Kopf voran landete er schließlich in einer schlammigen Pfütze, deren rauer Sand Gesicht und Hände abschmirgelte. In hüfttiefes Wasser tauchte er hinab. Sein Atemgerät gab stotternde Geräusche von sich, alles in ihm schrie nach Luft! Panisch paddelte er mit den Armen. Wo war oben, wo war unten?
Sein Kopf durchstieß die Wasseroberfläche. Kinga nestelte die Maske von seinem Kopf, sog gierig den Sauerstoff ein. Keuchte, hustete, spuckte.
Zwei Fackeln brannten noch, staken irgendwo im sumpfigen Gelände und spendeten flackerndes Licht. Die Luft war seltsamerweise frei vom ätzenden Geruch.
Von überallher drang Gestöhne und Geseufze. Verkrümmte Gestalten lagen da und dort, bewegten sich müde oder versuchten sich aufzurichten.
»Wo bin ich…?«
»… tut so weh…«
»Was, verdammt noch mal…?«
»… spüre mein Bein nicht mehr…«
»… helft mir!«
Kinga atmete tief durch. Allmählich begann sein Verstand wieder zu arbeiten. Er tastete den Körper ab. Alle Glieder waren noch da, obwohl sich die Beine wie betäubt anfühlten, als gehörten sie nicht mehr zu seinem Leib.
Er watete aus dem Wasser, auf die vage erkennbaren Kameraden zu. Er stieß gegen einen Körper, drehte ihn mit dem Gesicht nach oben, schob den Bewusstlosen – oder Toten? – vor sich her, auf trockenen Untergrund zu.
Ein Fauchen. Dann Wellen im Wasser. Dann ein marderähnliches Wesen, dessen Kopf aus dem kleinen Teich ragte. Blassblaue Augen ohne Pupillen leuchteten im Widerschein des Fackellichts. Scharfe Zähnchen in einem weit aufgerissenen Maul blitzten Kinga an. Mit schlängelnden Bewegungen kam das kleine Biest näher, tauchte kurz vor ihm ab. Er wich irritiert zurück,
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