VT03 - Tod in den Wolken
Rascheln des Federkleids die Gedanken des Kaisers. Würden sie zu spät kommen? Würde Wabo es schaffen, die Bestie zu erlegen? Mon dieu! Mach, dass sie noch leben.
Neben ihm ritt Kerim. Im geringen Abstand folgten die anderen Jäger. Nur die Diener des Kaisers waren mit den Straußen, die die Ausrüstung trugen, weit zurück geblieben.
Als sie endlich die ersten Mbuyubäume erreichten, drosselten sie das Tempo der Tiere. Die Vögel reckten ihre Hälse. Unruhig blinzelten ihre großen Augen unter den langen Wimpern ihrer Lider.
Pilatre schnallte seine Flinte vom Rücken. Er schob eine silberne Kugel in den Lauf. Schwarzpulver vermengt mit Glyzerin: Die Kapsel explodierte, sobald sie in einen Körper eingedrungen war. Der Kaiser benutzte sie nur in Notfällen und nur bei großen Tieren. Das letzte Mal bei einem angreifenden Nilross.
Kerim führte jetzt die Gruppe an. Aufrecht ritt er auf dem schwankenden Vogelrücken. In seiner rechten Hand hielt er den Speer, in der Linken ein Buschmesser. Die anderen Männer folgten mit Armbrust und Speeren. Aufmerksam beobachteten sie die Umgebung.
Nach annähernd hundert Metern stieg Kerim von seinem Strauß. Zwischen dichtem Buschwerk schlängelte sich ein schmaler Pfad in das Lager. Nun ging es zu Fuß weiter. Keiner der Männer sprach ein Wort. Ab und zu hielt ihr Führer an und lauschte. Manchmal wechselte er die Richtung oder pirschte sich auf allen Vieren durch das Unterholz. Was auch immer er tat, Pilatre und die Jäger befolgten seine Zeichen. Schließlich hörten sie Rufe und Schreie: Das Lager war direkt vor ihnen.
Pilatre wollte an Kerim vorbei, aber der Spurenleser hielt ihn zurück. »Es nutzt keinem etwas, wenn du dein Leben verwirkst, Ambaasa!«
Der Kaiser nickte stumm. Er beschloss all seine Wachsamkeit auf die Bestie zu konzentrieren. Sie teilten sich auf: Kerim führte eine Gruppe der Männer von links, der Kaiser die anderen von rechts an das Lager heran.
Pilatre fühlte, wie das Blut in seinen Schläfen pulsierte und sein Herz wild gegen seine Brust schlug. Sein Körper funktionierte wie eine Maschine. Vorwärts kriechen, knackenden Ästen ausweichen, den Kontakt zum Hintermann nicht verlieren und auf jedes Geräusch achten. Aber auch auf die Stille! Und es war plötzlich entsetzlich still! In seinem Kopf rauschten die Gedanken. Warum hatten die Schreie aufgehört? Warum verhielten sich die Tiere des Waldes so ruhig? Nur sein Atmen brüllte in seinen Ohren.
Plötzlich vernahm er Naakitis Stimme. Sie lebte! Gütiger Himmel, sie lebte!
Kopflos rannte er los. Vor ihm schimmerte das helle Tuch des Küchenzeltes. Er stolperte über eine Erhebung, drehte sich, um zu sehen, über was er gestrauchelt war, entdeckte die Leichen des Kochs und dessen Gehilfen, hörte ein Wimmern, wirbelte herum, und dort geradeaus zwischen den Bäumen, keine zwanzig Meter entfernt sah er sie: Naakiti!
»Ich bin hier, ma chére! Ich bin hier!« rief er und preschte los.
Als Naakiti ihren geliebten Mann erkannte, weiteten sich ihre Augen:
Nicht Erleichterung, sondern blankes Entsetzen lagen in ihnen. Sie fuchtelte mit den Armen und schrie: »Nein, mon ami! Nein! Lauf weg! Vite, vite!« Immer wieder zeigte sie auf eine Stelle, die im Rücken des laufenden Kaisers lag. Von dort kam eine andere Stimme. »Schieß, wenn du kannst, oder flieh!« Es war Wabo.
Pilatre begriff, blieb stehen und fuhr herum. Seine Hände zitterten, als er das Gewehr entsicherte. Ungefähr zwanzig Schritte von ihm entfernt sah er die Bestie. Sie war riesig, sie war schneeweiß, und sie hatte zwei Köpfe. Pilatre bemühte sich nicht, einzuordnen, was er da sah. Die Jahre in Afra hatten ihn gelehrt, erst zu handeln und dann zu denken, sobald er auf Geschöpfe traf, die ihm fremd waren. Normalerweise brachte er sich in solchen Fällen in Sicherheit. In diesem Fall drückte er einfach ab.
Das Untier sprang in die Höhe. Sein Körper schien kurz in der Luft zu schweben, dann krachte es zu Boden. Die Kugel hatte eine hässliche Wunde in seine Brust gerissen. Trotzdem bäumte sich die Bestie noch einmal auf. Zwei strahlend blaue Augenpaare hefteten sich an Pilatre – und erloschen, als die Kugel in der Brust des Lioon explodierte. Der weiße Leib blähte sich auf, um sich im nächsten Moment in blutigen Fetzen über die Lichtung zu verteilen.
***
Wimereux-à-l’Hauteur
Das gleichmäßige Klopfen des Messers hallte durch das Haus, begleitet von dem leisen Winseln des Hundes.
Enay stieg die schmale Treppe
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