VT03 - Tod in den Wolken
der weiß getünchten Wand.
Tala seufzte. Zum Aufräumen blieb keine Zeit. Der kilmalische Bauernjunge wartete auf sie. Die junge Frau stieß mit dem Fuß ein paar Bücher zur Seite. Darunter kamen einige Ketten, eine Handvoll Tierkrallen und ein grüner Stein zum Vorschein. Sie bückte sich nach dem Stein. Er war ein Geschenk ihrer Großmutter zu Talas Initiationsfest.
Tala erinnerte sich wehmütig an ihr großes Fest: Sie war vierzehn Jahre alt geworden. Damals hatte man sie in einer Vollmondnacht in den Dschungel geschickt. Auf sich allein gestellt, ausgerüstet mit einem Messer und einem Schlauch Wasser, musste sie bis Neumond überleben. Danach brachte man sie für drei Tage in die Höhle der Jungfrauen. Die Seherin ihres Dorfes rieb sie mit einem Brei aus Pflanzen und Erde ein. Sie gab ihr einen bitteren Tee zu trinken, der sie in einen tranceartigen Zustand versetzte. Im Geist lief sie mit den Gepaaden und begegnete ihren Ahnen. Als sie wieder zu sich kam, vollendete die Heilerin Talas Stirntätowierung. Damit war sie erwachsen und durfte das Kriegshandwerk bei der großen Ambaasi erlernen. Vier Jahre war das nun her.
Inzwischen war ihre Großmutter gestorben. Tala vermisste sie mehr als alles andere auf der Welt. Seufzend steckte sie den Stein und die Tierkrallen in einen kleinen Lederbeutel an ihrem Gürtel und erhob sich. Wo war nun ihre Waffe? Die große Ambaasi wäre außer sich, würde sie erfahren, dass Tala danach suchen musste. Eure Waffe ist euer verlängerter Arm. Hütet sie und geht mit ihr um, als wäre sie ein Teil eures Körpers , hatte sie stets gelehrt.
Tala drehte sich einmal um sich selbst. Dabei fiel ihr Blick auf die Meditationsmatte gegenüber vom Fenster. Auf der Bastmatte lag ein Kissen, das da nicht hin gehörte. Und tatsächlich fand sie darunter, was sie suchte: ihre silberne Kralle. Der Griff war mit schwarzen Zeichen und Steinen besetzt. Er war genauso lang wie Talas Hand und so dick wie ein kräftiges Bambusrohr. Drückte man auf einen der Steine, klappte die Klinge heraus. Sie hatte die Form einer Kralle. Ihre Schnittflächen waren scharf wie Rasierklingen.
Tala schob sie in die Lederhülle ihres Gürtels und verließ das Zimmer. Es lag in einem kleinen Seitenflügel im Pallais la femme . Die meisten der Frauen des Kaisers lebten mit den kleineren Kindern im prächtigen Hauptgebäude des Pallais. Auch Tala hatte man dort eine Wohnstatt angeboten. Aber die Kriegerin zog es vor, bei der Dienerschaft im Seitenflügel zu wohnen. Sie hasste die Hofordnung genauso, wie sie Ordnung überhaupt hasste.
Sie sprang die Stufen des Eingangportals hinunter und lief ein Stück durch den Park. Hinter einer großen Hecke betrat sie die nussgepflasterte Auffahrt, die hinunter zur Chaussee führte. Sie ging in entgegen gesetzter Richtung. Mit weiten Schritten näherte sie sich dem Fahrzeughangar, ein lang gestreckter flacher Bau, dessen dünne Holzwände von Efeuranken bedeckt waren.
Als Tala den Hangar betrat, erhellte sich ihre Miene. Ihr Herz hüpfte beim Anblick der Fahrzeuge. Zwei- und viersitzige Otomobile, zwei- und dreirädrige Velos und Dschungelrouler, die statt Rädern raupenförmige Ketten hatten und für unwegsames Gelände benutzt wurden.
Für die Stadtbesichtigung entschied Tala sich für ein Trivelo, ein motorisiertes Velo mit drei Rädern. Zwischen den beiden Hinterrädern war ein breiter Sitz eingelassen, der sich nach vorne hin verjüngte. Er hatte einen Überzug aus Zeebrafell. Die Karosserie aus Leichtmetall war rot angemalt. Tala überprüfte den Dampfkessel hinter dem Sitz. Schließlich schob sie das rote Gefährt ins Freie. Dort wurde sie schon von Nabuu erwartet. Und er war nicht alleine. Dieser Enkel des Kommandanten aus Avignon war bei ihm und grinste ihr entgegen.
Aber Tala schenkte ihm nur einen kurzen Blick. Ihre Augen hingen an Nabuu. Unverhohlen stierte sie ihn von oben bis unten an.
Nabuu wand sich unter ihren Blicken. Man hatte ihn in eine Uniform der Gardisten gesteckt und er fühlte sich sichtlich unwohl darin. Zwar hatte er eingesehen, dass seine eigenen Kleider eine Wäsche brauchten, aber er hätte sich einfachere Bekleidung gewünscht als dieses Rüschenhemd und die Hose aus rotem Samt. Die Jacke mit den goldenen Stickereien hatte er in seinem Rucksack verschwinden lassen und Strümpfe und Schuhe dankend abgelehnt. So stand er nun barfuß in diesem albernen Kostüm vor Tala. Als er bemerkte, wie sie sich ein Lachen verkniff, hätte er sich am
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