VT03 - Tod in den Wolken
holen. Etwas heftiger als notwendig riss sie die Tür auf und trat in die Kammer.
Sie kam keine zwei Schritte weit. Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen: Auf dem kalkgetünchten Boden vor ihr lag der zusammengekrümmte Körper von Enay. Unzählige schwarze Fleggs umkreisten das Loch im Schädel der Haushälterin.
Der Anblick und der Gestank von verwesendem Fleisch raubten Maddy den Atem. Sie taumelte zurück zur Tür, hielt sich ihre Hände vor das Gesicht und schrie und schrie und schrie.
***
Leguma erwachte. Graue Schleier hingen in seinem Schlafzimmer und Blei an seinen Füßen. Schwerfällig richtete er sich auf. Es waren Erdklumpen, die an seinen Schuhen hingen, und die Schleier waren das Produkt seines unvollständigen Sehvermögens: Es musste also Tag sein. So weit kam der Wissenschaftler in seinen Gedanken noch. Als er aber seinen steifen Körper vom Bett löste, schwappten wirre Bilder und Erinnerungsfetzen durch sein Hirn, die keinen Sinn mehr ergaben.
Von unten aus dem Haus drangen laute Geräusche an sein Ohr: Klirren und Rascheln, Stampfen und Sägen. Leguma schlurfte aus dem Zimmer zur Treppe. Er bückte sich leicht. Ein Schatten flog aus seinem Blickfeld in Richtung Veranda. Der Wissenschaftler schnüffelte. Es roch nach süßem Schweiß und dem Öl einer Blume, dessen Namen ihm einfach nicht einfallen wollte. Die Gerüche verursachten eine heftige Erregung in Leguma. Sein Herz klopfte, seine Glieder zitterten, und in seinem Mund sammelte sich Speichel.
In einer gewaltigen Anstrengung zwang er seine Füße auf die Treppe. Stufe um Stufe wankte er mit steifen Beinen hinunter. Er hatte die Mitte der Treppe erreicht, als der Schatten von der Veranda zurückkam. Er schien geradezu durch das Zimmer zu fliegen, an ihm vorbei zur Tür der Vorratskammer.
Es war eine Frau. Leguma kam sie bekannt vor, aber das schien lange her zu sein. So lange, dass er sich nicht mehr an ihren Namen erinnerte. Sie verschwand in der Kammer, und ihr Geruch hing vor der Treppe.
Legumas Gier wuchs ins Unermessliche. Sein Atem ging stoßweise und die Muskulatur seines Magens pulsierte. Speichel troff aus seinem offenen Mund. Wie eine Maschine setzte sich sein Körper in Bewegung und brachte die letzten Stufen hinter sich.
Plötzlich tönte ein ohrenbetäubender Lärm aus der Kammer. Es war ein Kreischen. Und es toste durch Legumas Ohren und brüllte in seinem Kopf.
Leguma wankte zur Tür. Es war die Frau, die den schmerzenden Lärm verursachte. Sie stand mit dem Rücken zu ihm und schrie. Konnte sie nicht aufhören damit? Hör auf! , wollte er rufen, aber seine Zunge gehorchte ihm nicht. Nur ein grunzendes Geräusch kam aus seinem Mund. Die Frau hörte ihn nicht und schrie weiter. Das musste aufhören!
Leguma streckte seine Arme nach ihr aus. Seine gekrümmten Finger packten ihren weichen Hals und drückten zu. Das Schreien wurde zum Röcheln. Der Duft ihres Schweißes stieg in seine Nase. Ihre weichen Haarsträhnen kitzelten Legumas Rachen. Er spürte, wie der Körper der Frau schwer wurde und nach unten sackte. Endlich war es still.
***
Kilmalie
Dunkle Wolken hingen am Himmel über Kilmalie. Die Alarmsirenen brüllten von dem Platz vor dem Ratshaus. Sie übertönten das Weinen der Kinder in der großen Halle. Hundert Menschen saßen dicht aneinander gedrängt auf den kalten Steinfliesen. Als das Geheule der Sirenen endete, lauschten Frauen, Kinder, Alte und Kranke Fakalusas Worten.
»Bürger von Kilmalie. Vor unseren Toren haben sich die Gruh versammelt, um uns zu vernichten! Aber noch ist nichts verloren!« Die Stimme der Dorfobersten schwankte, als sie in die verzagten Gesichter der Menschen blickte. »Die Mauern von Kilmalie sind stark! Tapfere Krieger und Kriegerinnen wachen auf den Palisaden! Habt Hoffnung! Es muss schon mit dem Teufel zugehen, wenn es dieser Brut gelingt, Kilmalie einzunehmen!« Fakalusa räusperte sich. »Und stündlich erwarten wir die Truppen aus Avignon-à-l’Hauteur«, fügte sie leise hinzu.
Von den Kilmaliern kam keine Reaktion. In starrem Schweigen rückten sie noch mehr zusammen. Fakalusa seufzte. Langsam bahnte sie sich einen Weg durch die kauernden Menschentrauben. Ein Hund bellte. Ein Säugling schrie nach der Brust seiner Mutter. Die Dorfoberste spürte die misstrauischen Blicke, die sich an ihren Rücken hefteten. Sie konnte es den Leuten nicht verdenken, glaubte sie doch selbst nicht an das, was sie ihnen weismachen wollte.
Als sie endlich auf dem Platz vor dem Ratshaus
Weitere Kostenlose Bücher