VT04 - Zwischen Leben und Sterben
Küchenlicht ein und blies die Kerze aus. Jetzt durfte man wieder reden.
»War das dampfende Fleischgelee auf deinem Teller das Hirn von dem fetten Kater?«, fragte Lupo.
Knox sah den anderen mit hochgezogenen Brauen an. Sein Blick wanderte zweimal zwischen der erkalteten Pfeife und Lupos bleichem Mausegesicht hin und her. Schließlich schnappte er sich seinen Teller und trug ihn zur Spüle.
»Die kleine Portion war das Hirn der Kreuzotter, die ich heute Vormittag präpariert habe«, sagte er ein paar Sekunden später. »Die große war das Hirn des Wolfes, den ich letzte Woche in Tschechien abgeholt habe. Ich hatte es eingefroren.« Er warf den Teller in die Spüle und drehte den Wasserhahn auf. »Wenn du deine Geisteskraft mit starken Gehirnen tunen würdest, statt sie mit Shit und Pilzen zu zersetzen, würdest du eine Bisamratte nicht mit einem Kater verwechseln. Ich fürchte, es wird noch ein schlimmes Ende mit dir nehmen.«
»Das fürchte ich auch«, kicherte Lupo.
Knox nahm seinen Player hoch und wechselte die Datei. Statt Orgelfugen tönten jetzt Bassgehämmer und Gitarrengesäge durch die Küche; statt Bach die Firegods.
Sie waren Fans der Firegods, beide, Lupo und Knox. Eusebia auch. Alle im Dunstkreis der Firegods trugen Namen von Comicfiguren.
Lupo kicherte in sich hinein, denn während er den anderen beim Spülen beobachtete, ging schon wieder seine Phantasie mit ihm durch: Knox spülte nicht seinen Teller ab, sondern er weidete einen fetten getigerten Kater aus. Und tatsächlich: Als er die haarigen Arme ein Stück anhob, bedeckte sie blutiger Schaum bis über die Ellenbogen. Lupo lachte laut und Knox drehte sich um und musterte ihn tadelnd.
Knox mochte mürrisch und freakig sein und ein elender Klugscheißer dazu – doch er war ein verlässlicher Freund; der einzige, den Lupo noch hatte. Das mochte daran liegen, dass Knox unter allen der Einzige war, der immer »Nein!« gesagt hatte, wenn Lupo ihn um Geld anpumpte.
Knox hatte früher eine Zeitlang studiert, Chemie und Biologie, wenn Lupo das alles richtig verstanden hatte. Richtig verstanden und sich richtig gut gemerkt hatte er jedenfalls, dass sein großer Freund Knox eine Metzgerlehre gemacht hatte; wenigstens eine halbe oder eine dreiviertel Metzgerlehre. Und anschließend hatte er eine Ausbildung zum Tierpräparator gemacht. Davon lebte er jetzt. Und von dem Verkauf ausgestopfter Tiere. Und von dem einen oder anderen Autobruch ab und zu. Außerdem studierte er wieder; oder war wenigstens an der Universität eingeschrieben; für Chemie und Biologie, wenn Lupo alles richtig Verstanden hatte. Knox hieß mit bürgerlichem Namen Ingo Vranitzki.
Wie alt Knox war, wusste Lupo nicht; oder hatte es vergessen. Mindestens fünfundzwanzig und höchstens fünfundvierzig, schätzte er. Dass er die Hirne der Tiere aß, die er ausstopfte, ekelte Lupo und faszinierte ihn zugleich.
Knox aß natürlich nicht die Hirne aller Tiere, die er ausstopfte. Sie mussten schon einigermaßen frisch sein; und es mussten Hirne ganz bestimmter Tiere sein. »Starker und kluger Tiere«, wie Knox zu sagen pflegte. Das Hirn eines Rehs würde er niemals essen. Auch das Hirn einer Taube oder eines Hasen nicht. Und das eines Maulwurfs schon gar nicht. Dafür das Hirn eines Fuchses, oder einer Luchses, oder einer Schlange, oder gar eines Marders; und das eines Wolfes sowieso.
Es gab da so eine Theorie, an die Knox glaubte. Die Theorie besagte, dass man sich mit dem Genuss der Hirne gewisser Wesen deren spezifische Eigenschaften einverleibte. Knox behauptete, er hätte das in einem Buch über Biochemie gelesen. Lupo glaubte, dass Knox es in einem Abenteuerbuch gelesen hatte, bei dem Indianer im Amazonas oder Zulukrieger im Kosovo eine Rolle gespielt hatten. Moment mal – lebten die Zulus überhaupt im Kosovo? Na, egal. Lupo kicherte in sich hinein.
»Was lachste denn schon wieder so blöd?« Über die Schulter hinweg und mit gerunzelter Stirn fixierte Knox ihn von der Spüle aus.
Die Tür zum Wohnzimmer wurde aufgerissen. »Komm her, Knox, ich hab was für dich!« Eusebia stand im Türrahmen. Sie wirkte ziemlich aufgekratzt. »Na los, beweg deinen Arsch, das musst du dir angucken!« Sie verschwand wieder im Zimmer.
Knox trocknete sich die Hände ab. Hinter dem flinken Lupo her schaukelte er ins Wohnzimmer. Dichte Rauchschwaden hingen dort unter der Decke. Es stank nach Zigarrenrauch. Lupo hasste Zigarrenrauch.
Eusebia hockte auf einer Bierkiste vor dem Computermonitor. Sie
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