Wachen! Wachen!
den Jubel der geretteten Bürger zu hören. Sie säumten die Straßen, warfen Blumen, trugen ihn im Triumphzug durch die Stadt.
Der Nachteil bestand nur daran, daß er sich in einer Urne befand.
L upin Wonse schlurfte durch die kühlen Flure und näherte sich dem Schlafzimmer des Patriziers. Es war nie ein sehr luxuriöser Raum gewesen, enthielt nur ein schmales Bett und einige wacklige Schränke. Jetzt sah es noch schlimmer aus, denn eine Wand fehlte. Wer dort schlafwandelte, lief Gefahr, in die gewaltige Höhle des Großen Saals zu fallen.
Trotzdem schloß Wonse die Tür, um zumindest den Anschein von Privatsphäre zu wahren. Dann ging er in die Mitte des Zimmers, warf einen vorsichtigen und nervösen Blick in die weite Halle, bückte sich und hob eine Bodendiele.
Er holte einen langen schwarzen Umhang aus dem Versteck hervor, griff anschließend noch etwas tiefer, sank auf die Knie, schob beide Arme ins staubige Geheimfach und tastete mit wachsender Verzweiflung umher.
Ein Buch flog durchs Zimmer und traf ihn am Hinterkopf.
»Du suchst das hier, nicht wahr?« Mumm trat aus den Schatten.
Wonse drehte langsam den Kopf, und seine Kinnlade klappte nach unten.
Mumm wußte, was der Sekretär sagen wollte, dachte in diesem Zusammenhang an Bemerkungen wie
Ich
kann mir denken, was du jetzt denkst, aber du irrst dich
oder
Wie
bist du hierhergekommen?
oder vielleicht auch
Ich kann alles erklären.
Mumm bedauerte es, keinen geladenen Drachen dabei zu haben.
»Na schön«, sagte Wonse. »Ziemlich schlau von dir.«
Offenbar bemühte sich der Sekretär um verbale Originalität.
»Unter den Dielen«, sagte Mumm. »Dort, wo man zuerst sucht. Wirklich sehr einfallsreich.«
»Ich weiß«, erwiderte Wonse. »Vermutlich hat er nicht damit gerechnet, daß jemand sucht.« Er stand auf und klopfte den Staub ab.
»Wie bitte?« fragte Mumm freundlich.
»Vetinari. Du weißt ja, wie sehr ihm Intrigen gefielen. Er war an den meisten Verschwörungen gegen sich selbst beteiligt. Seine Vorstellung von guter Verwaltung. Er fand Gefallen daran. Offenbar hat er den Drachen beschworen, aber dann konnte er ihn nicht kontrollieren. Das Ungeheuer ist noch viel gerissener als er.«
»Und was führt dich hierher?« erkundigte sich Mumm.
»Ich habe mir überlegt, ob es möglich ist, den Zauber rückgängig zu machen. Oder einen zweiten Drachen zu beschwören. Dann würden sie gegeneinander kämpfen.«
»Eine Art Gleichgewicht des Schreckens, wie?« brummte Mumm.
»Das könnte zumindest einen Versuch wert sein«, sagte Wonse ernst. Er stand auf und trat einige Schritte näher. »Hör mal, was deinen Rang betrifft, ich meine, wir waren beide ziemlich gereizt, und deshalb, ich meine, wenn du wieder Hauptmann sein möchtest, ist überhaupt kein Pro…«
»Es muß schrecklich gewesen sein«, unterbrach Mumm den Sekretär. »Stell dir nur mal vor, wie es ihm ergangen ist. Er hat den Drachen beschworen und stellte dann fest, daß es sich nicht um ein Werkzeug handelt, sondern um ein Geschöpf mit eigenem Willen. Mit einem Bewußtsein, das seinem eigenen ähnelt, in dem es jedoch überhaupt keine Bremsen gibt. Weißt du, ich bin fast sicher, daß er zu Anfang glaubte, der Stadt einen Dienst zu erweisen. Bestimmt ist er übergeschnappt. Früher oder später.«
»Ja«, sagte Wonse heiser. »Es dürfte schrecklich gewesen sein.«
»Bei allen Göttern, ich würde mir ihn gern vorknöpfen! Ich kenne ihn seit vielen Jahren, und erst jetzt wird mir klar, daß er vollkommen ausgerastet ist…«
Wonse schwieg.
»Lauf!« sagte Mumm leise.
»Was?«
»Lauf! Ich möchte dich laufen sehen.«
»Ich verstehe ni…«
»In der Nacht, als der Drache das Versammlungshaus verbrannte, habe ich jemanden beobachtet, der davonlief. Er bewegte sich irgendwie seltsam,
hüpfte
praktisch durch die Straße. Und später habe ich gesehen, wie du vor dem Drachen geflohen bist. Könnte fast der gleiche Mann sein, dachte ich mir. Läuft nicht richtig, sondern springt eher. Wie jemand, der verzweifelt versucht, mit irgendwelchen Leuten Schritt zu halten.
Ist jemand entkommen, Wonse?«
Der Sekretär hob eine Hand und gab sich alle Mühe, möglichst beiläufig zu winken. »Das ist doch lächerlich«, erwiderte er. »Du hast keinen Beweis.«
»Du schläfst jetzt hier, nicht wahr?« fragte Mumm. »Ich nehme an, der
König
möchte, daß du immer in der Nähe bist, stimmt’s?«
»Du hast überhaupt keinen Beweis«, flüsterte Wonse.
»Natürlich nicht. Die Art und Weise,
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