Wachen! Wachen!
auf der Suche nach dem Goldschatz des Drachen, und der Rest neigte weitaus weniger als sonst dazu, in dunklen Gassen zu lauern. Hinzu kam: Die vernünftigsten Schurken begriffen auf den ersten Blick, daß es keinen Sinn hatte, Lady Käsedick zu überfallen. Wahrscheinlich forderte sie dazu auf, die Socken hochzuziehen und nicht
dumm
zu sein, und zwar in einem so befehlsgewohnten Tonfall, daß selbst dem hartnäckigsten Halunken keine andere Wahl blieb, als ihr zu gehorchen.
Die Mauer war noch nicht abgerissen worden und zeigte nach wie vor das gräßliche Fresko. Errol schnüffelte ein wenig, hoppelte durch die Gasse, legte sich hin und schlief ein.
»Hat nicht geklappt«, stellte Feldwebel Colon fest.
»War aber ‘ne gute Idee«, sagte Nobby loyal.
»Vielleicht liegt es am Regen und den Leuten, die hier unterwegs gewesen sind«, murmelte Lady Käsedick.
Mumm hob den Sumpfdrachen hoch. Es war ohnehin nur eine vage Hoffnung gewesen. Der Hauptmann hielt es für besser, irgend etwas zu unternehmen, als die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten.
»Wir sollten jetzt besser zurückkehren«, sagte er. »Die Sonne geht unter.«
Sie gingen schweigend.
Der Drache hat sogar die Schatten gezähmt,
dachte Mumm.
Er beherrscht die ganze Stadt, selbst dann, wenn er überhaupt nicht da ist. Bestimmt dauert’s nicht mehr lange, bis die Leute damit anfangen, Jungfrauen an Felsen zu ketten.
Drachen sind eine Metapher für die verdammte menschliche Existenz. Und wenn das noch nicht genügt: Sie sind auch verdammt große und verdammt heiße fliegende Wesen.
Mumm holte den Schlüssel für das neue Hauptquartier hervor. Als er ihn ins Schloß schob, erwachte Errol und jammerte.
»Nicht jetzt«, brummte der Hauptmann. Er spürte ein schmerzhaftes Stechen in der Seite. Die Nacht hatte kaum begonnen, und er fühlte sich schon müde und erschöpft.
Eine Schieferplatte fiel vom Dach und zerplatzte auf dem Kopfsteinpflaster neben Mumm.
»Hauptmann«, flüsterte Feldwebel Colon.
»Was ist denn?«
»Das Biest sitzt dort oben, Hauptmann.«
Irgend etwas in Colons Stimme ließ Mumm erstarren. Der Feldwebel klang weder aufgeregt noch furchtsam, dafür aber zutiefst entsetzt.
Langsam hob er den Kopf. Errol erzitterte unter seinem Arm.
Der Drache –
der
Drache – blickte interessiert über die Dachrinne. Im Kopf hätten gleich mehrere athletisch gebaute Männer Platz gefunden, und die Augen waren so groß wie große Augen. Rote Glut schimmerte in ihnen – und eine Intelligenz, die sich völlig vom menschlichen Verstand unterschied. Es war eine Intelligenz, die schon seit Äonen in Tücke gebadet und sich in Arglist gesuhlt hatte, als die ersten Fast-Affen überlegten, ob es der biologisch-evolutionären Karriere förderlich sein mochte, auf zwei Beinen zu stehen. Es war eine Intelligenz, die sich nicht mit Dingen wie Diplomatie aufhielt; derartige Konzepte blieben ihr fremd.
Solche Geschöpfe spielten nicht, stellten einem auch keine Rätsel. Als Ausgleich fanden sie großen Gefallen an Arroganz, Macht und Grausamkeit. Ihre Auffassung von Humor bestand darin, anderen Wesen – vorzugsweise Menschen – den Kopf zu verbrennen.
Derzeit war der Drache zorniger als sonst. Er spürte etwas hinter den Augen: ein winziges, schwaches und
fremdes
Ich, erfüllt von aufgeblasener Selbstzufriedenheit. Das Etwas störte ebenso wie hartnäckiges Jucken an einer Stelle, an der man sich nicht kratzen konnte. Es zwang den Drachen zu einer Verhaltensweise, die ihm überhaupt nicht behagte – und hinderte ihn gleichzeitig daran, sich mit Dingen zu beschäftigen, die ihn faszinierten.
Das Ungeheuer richtete den roten Blick auf Errol, der völlig außer sich zu sein schien. Mumm begriff, was ihn bisher davor bewahrt hatte, in einem viele hunderttausend Grad heißen Flammenstrahl zu verdampfen: Der große Drache fragte sich, warum er einen kleinen Drachen in den Armen hielt.
»Mach keine plötzlichen Bewegungen«, hauchte Lady Käsedick hinter ihm, »und achte darauf, keine Furcht zu zeigen! Drachen merken es sofort, wenn man sich vor ihnen fürchtet.«
»Hast du mir sonst noch einen Rat anzubieten?« fragte Mumm langsam und versuchte zu sprechen, ohne dabei die Lippen zu bewegen.
»Nun, manchmal ist es recht nützlich, sie hinter den Ohren zu kratzen.«
»Oh.« Mumm stöhnte leise.
»Gelegentlich erfüllt auch ein scharfes ›Nein!‹ seinen Zweck. Oder man bringt den Futternapf fort.«
»Ah?«
»In
extremen
Fällen nehme ich eine
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