Wachgeküßt
auch deine Vorgesetzten! Also läßt du sie besser nicht merken, daß sie nicht gerade deine erste Wahl für eine Verabredung zum Abendessen sind. Sie wären tödlich beleidigt.« Ich muß unwillkürlich an Larrys Reaktion auf meine Weigerung, mit ihm essen zu gehen, denken. Er hat sofort Gerüchte in der Kantine ausgestreut.
»Ach, ich glaube, davor bin ich sicher. Ich arbeite nicht wirklich für sie. Ich wurde von der Mutterfirma nur als Unterstützung zu Sunday Best geschickt, als eine Art Berater. Solange, bis der Laden wieder richtig läuft. Und dann heißt es: auf zu neuen Taten.«
»Du verläßt uns?« Plötzlich bin ich ganz schön enttäuscht. Ich habe so lange gebraucht, mit Jakes Anwesenheit fertig zu werden, daß ich nie darüber nachgedacht habe, wie ich mich fühlen würde, wenn er nicht mehr da wäre.
»Irgendwann ja«, antwortet er. »Wenn mein Job getan ist.«
»Und wer wird Chefredakteur, wenn du weg bist?«
»Tja«, er kratzt sich gedankenverloren am Kopf. »Vielleicht entscheiden sie sich für jemanden von außerhalb. Vielleicht wird es aber auch Damien. Ich weiß noch nicht.«
»Damien? Ach du lieber Gott!« kreische ich unüberlegt.
Jake sieht mich nachdenklich an, geht aber netterweise nicht auf meine entsetzte Reaktion ein.
»Wie laufen die Nachforschungen zu der Reportage, um die ich dich gebeten habe?« fragt er statt dessen.
Ich nehme einen langen, tiefen Schluck, der Alkohol gleitet angenehm leicht durch meine ausgedörrte Kehle.
»Gut«, antworte ich vorsichtig.
»Keine Probleme mit dem Thema?«
»Sollte ich die haben?«
»Na ja, es ist immer einfacher, über etwas zu schreiben, womit man vertraut ist...« Er lächelt mich an, und für den Bruchteil einer Sekunde sehe ich diesen Ausdruck in seinen Augen. Ein Ausdruck der, na ja... fast schon... der Zuneigung? Mit diesem Ausdruck hat er mich auch angesehen, als wir uns das erste Mal so wunderbar und lange neben dem Schwimmbecken geküßt haben.
Eine seltsame Mixtur aus Erleichterung und Hoffnung macht sich in mir breit. Vielleicht haßt er mich doch nicht für das, was ich getan habe. Vielleicht hat er mir mein heimliches Verschwinden verziehen. Vielleicht kann ich endlich das Thema zur Sprache bringen, das wir beide so lange und so sorgfältig vermieden haben...
»Du hast also diese Nacht nicht komplett aus deinem Gedächtnis gestrichen?« wage ich schließlich zu fragen, nachdem mein Gesicht aufgehört hat zu brennen und ich es schaffe, meine zusammengepreßten Lippen auseinander zu kriegen.
»Glaubst du etwa, ich vergesse jede Frau sofort, mit der ich geschlafen habe?«
Jede? denke ich in einem Anfall von Panik. Gab es denn so viele?
»Machen Männer das nicht immer so?« Ich fingere an der Schale mit den Erdnüssen herum, die auf der Theke steht, weil
ich es nicht schaffe, ihm ins Gesicht zu sehen. »Wußtest du, daß beim Sex Hormone im Körper freigesetzt werden, Endorphine und solche Sachen? Ich glaube, daß bei Männern so was Hormonartiges freigesetzt wird. Daraufhin vergessen sie, mit wem sie gerade geschlafen haben. Es steht wahrscheinlich in direkter Beziehung zu dem Hormon, das sie sofort danach einschlafen läßt.«
Ich richte meinen Blick auf ihn. Seine Augen verengen sich, als er versucht herauszufinden, ob ich scherze oder nicht. »Frauen werden richtig sauer, wenn Männer immer alles verallgemeinern. >Ihr seid alle gleich.< Bringt dich dieser Satz nicht zur Raserei?«
»Hh-hmm.« Ich nicke vorsichtig, weil mir schon klar ist, daß er mir die Worte im Munde umdreht.
»Meinst du nicht, daß auch Männer nicht alle gleich sind? Du kannst uns nicht alle über einen Kamm scheren. Natürlich gibt es irgendwo Gemeinsamkeiten, aber jeder ist ein Individuum, ungeachtet der Geschlechtszugehörigkeit.«
Es scheint mir am klügsten, einfach zu nicken.
»Warum hast du nichts gesagt?« wage ich schließlich zu fragen.
»Warum hast du nichts gesagt?« erwidert er lächelnd.
»Touché.«
Er sieht mich einen Augenblick lang an.
»Ich habe nichts gesagt, weil du dich ganz offensichtlich sehr unwohl gefühlt hast wegen der ganzen Angelegenheit. Bei unserem ersten Treffen im Büro war dein Gesicht so rot wie die Mappe, hinter der du es versteckt hast.«
»Willst du damit etwa sagen, du wußtest von Anfang an, wer ich war?«
»Himmel, Alex, willst du mich für dumm verkaufen? Wie oft habe ich gedacht, ich sollte einfach etwas sagen, um Klarheit zu schaffen... aber ich habe es nicht getan, weil es sich
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