Wachgeküßt
Sichtweite bin, lasse ich das Hinken sein und flitze mit Höchstgeschwindigkeit durchs Foyer, wobei ich wie eine Verrückte kichere.
Ich habe so viele Lügen erzählt, ich sollte meinen Namen besser in Baron Münchhausen umändern. Die machen jetzt unter den Klatschmäulern die Runde – wenigstens stifte ich damit ein
bißchen Verwirrung unter diesen Ärschen. Entweder das, oder ich mache mich völlig lächerlich.
Ich zittere, wegen des Adrenalinschubs. Meine Nerven liegen blank. Die Hotelbar ruft mich wie eine Sirene, die versucht, einen Seemann in ihren Bann zu ziehen. Ich beschließe, Emmas Alkoholverbot zu ignorieren und mir einen ordentlichen Schluck zu genehmigen. Schließlich war das ein verdammt anstrengender Tag!
Ich wünschte, ich würde rauchen. Das hier wäre die ideale Gelegenheit, mich auf einem Barhocker zu räkeln, dem Keeper ein Zeichen zu geben und einen auf Catherine Deneuve zu machen. Ach, egal, auf wen, Hauptsache jemand, der ich nicht bin.
Ich quartiere meinen Hintern auf den vorab erwähnten Hocker und schaffe es, Augenkontakt zu dem Barkeeper aufzunehmen.
»Ein großes Glas... setze ich erschöpft an.
»Weißwein, Madam«, beendet er den Satz für mich und stellt es schon auf einem Bierdeckel vor mich hin.
»Aber ich...«
»Von dem Gentleman am anderen Ende der Theke, Madam.«
Na, wenn das nicht wie im Film ist.
Jetzt komme ich mir vor wie Bette Davis. Ich drehe mich lässig zur Seite, um mit einem lässigen Nicken danke zu sagen. Aber das lässige Nicken und das huldvolle Lächeln ersticken im Keim und werden von einem überraschten Glotzen ersetzt.
»Was zum Teufel machst du denn hier?« entschlüpft es mir, bevor mir etwas Passendes einfällt.
Langsam schüttelt Jake den Kopf.
»Nicht zu fassen: von allen Kaschemmen in der ganzen Welt... Ich freue mich auch, dich zu sehen, Alex.« Er nimmt sein Glas und kommt die Theke entlang. »Ich wohne hier, während ich in der Stadt bin.«
»Die Zeitung bezahlt für diese Unterbringung? O Mann. Warum reicht das Budget nicht für ein paar mehr solcher Plätze, die ich dann besprechen kann?«
»Vielleicht solltest du schnell einen Bericht schreiben, während du hier bist.« Er lächelt und setzt sich auf den Hocker neben mir. »Ich habe im Moment in London keine Bleibe. Bin mir immer noch nicht sicher, ob ich lange genug hierbleibe, damit es sich lohnt, irgendwo einzuziehen. Und in der Zwischenzeit...« Er deutet um sich. »... bin ich halt hier.
Ich nehme an, du gehörst zu der Hochzeitsgesellschaft?« Er zeigt auf die Maiglöckchen an meinem Dekollete.
Ich reibe mit den Fingerspitzen über meine schmerzenden Schläfen und nicke.
»Siehst du den Kerl dort drüben, den Depp mit der Krawatte?«
»Ich nehme an, du meinst den Bräutigam?«
»Genau... also, das ist Max. Bis vor drei Monaten waren Max und ich, na ja... wir waren über fünf Jahre zusammen.«
»Bis vor drei Monaten!«
»Hh-hmm.« Ich nicke erschöpft und nehme einen Schluck Wein. »Und bevor du fragst, die Antwort lautet ja. Es gab da eine kleinere Überlappung. Frag mich nicht, wie lange, ich hatte nämlich nie den Mut, das herauszufinden.«
»Und du bist zu seiner Hochzeit gekommen?«
»Ich war eingeladen.«
»Na ja... trotzdem.«
»Ich liebe Hochzeitstorte.« Ich sehe ihn aus den Augenwinkeln an und lächele schwach. »Außerdem, nil bastardo condemderandum, wie mein Großvater zu sagen pflegte. Jedenfalls so was in der Art.«
»Falls dir das ein Trost ist: Der Mann ist ein Dummkopf. Du siehst bezaubernd aus.«
»Du hättest erst mal den Hut sehen sollen«, lautet meine ironische Antwort.
»Wo ist er?«
»Wird wahrscheinlich gerade von irgendeinem herausgeputzten kleinen Balg als Frisbeescheibe mißbraucht.« Ich zucke die
Achseln, nehme noch einen stärkenden Schluck Wein und seufze tief.
Er wirft einen Blick auf die Uhr und sieht mich dann fragend an.
»Ich muß mich in einer halben Stunde mit ein paar Leuten zum Essen treffen«, sagt er langsam. »Offensichtlich hast du hier ja nicht besonders viel Spaß, warum gesellst du dich nicht einfach zu uns?«
Moment mal, will Jake etwa mit mir ausgehen?
»Ich will nicht aufdringlich sein«, nuschele ich verunsichert.
»Kein Problem, ist eine Arbeitsbesprechung. Um ganz ehrlich zu sein, du würdest mir einen Gefallen tun. Ich bin nicht gerade scharf auf das Treffen. Ein paar von deinen Vorgesetzten sind nicht gerade... wie soll ich sagen?... besonders unterhaltsam.«
»Von meinen Vorgesetzten? Das sind doch
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