Wachgeküßt
nicht mal, wo ich bin. Eine ganze Wand des Wohnzimmers besteht aus getöntem Glas, durch das man die grünen, trägen Fluten der Themse sehen kann. Ich muß also irgendwo in den Docklands sein.
Ein Ächz-Grunz-Schnarch-Geräusch, das aus dem Schlafzimmer ertönt, schlägt mich endgültig in die Flucht.
Leise ziehe ich die Tür hinter mir ins Schloß und lande in einer von Topfpflanzen heimgesuchten Halle, deren Teppichbelag flauschiger ist als der Schoßhund meiner Mutter. Ich warte auf den Aufzug und darauf, daß Larry jeden Moment erwacht und nach einem Frühstück im Bett verlangt.
Unten angekommen krieche ich aus dem Fahrstuhl. Das Atrium gleicht einem Dschungel aus Glas. Der freundliche Portier erbarmt sich meiner, ruft von seiner kleinen Loge aus ein Taxi und lädt mich ein, eine Tasse Tee mit ihm zu trinken, während ich warte.
»Eine lange Nacht, was?« fragt er mit einem Blick auf meine zitternden Hände, mein bleiches Gesicht und die schwarzen Ringe
unter meinen Augen, die so groß sind, daß man damit Hoola-Hup spielen könnte.
»Das wüßte ich selber gar zu gern«, seufze ich und blase schwach über das starke, süße Gebräu, um es abzukühlen. »Aber von zwei Uhr an ist da nur noch ein großes, schwarzes Loch.«
Emma erwartet mich bereits. Sie steht oben an der Treppe, hat die Hände in die Hüften gestemmt und ein verdrießliches Gesicht aufgesetzt.
»Wo, zum Teufel, bist du letzte Nacht abgeblieben?« knurrt sie und bricht dann, angesichts meines gekränkten Aussehens, in schallendes Gelächter aus.
»Du brauchst die Polizei jetzt nicht mehr anzurufen, Ren. Aschenbrödel ist vom Ball zurückgekehrt.«
»Ich geh jetzt duschen und dann geh ich ins Bett.« Mit viel Mühe schleppe ich mich die Treppe rauf und versuche, an ihr vorbei in mein Zimmer zu kommen.
»O nein, das wirst du nicht, meine Liebe. Die Verwandlung in eine graue Maus findet eigentlich um Mitternacht statt, nicht am Mittag.« Emma sieht auf die Uhr. »Wir wollen die ganze Wahrheit über letzte Nacht. Wo warst du, verdammt noch mal? Wir haben uns riesige Sorgen gemacht.«
»Frag erst gar nicht.« Ich schüttele den Kopf, halte aber schnell inne, weil es zu sehr schmerzt.
Serena kommt aus der Küche, das blonde Haar zu einem Knoten hochgesteckt, lässig in Jeans und Sweatshirt gekleidet. Sie sieht viel zu frisch aus für jemanden, der letzte Nacht bis drei Uhr früh getanzt und gesoffen hat.
»Wo hast du gesteckt?« Die Art, wie sie die Arme um mich schlingt, verrät ihre Besorgnis und schüttelt mein ohnehin schon geschrumpftes Hirn so durch, daß es sich in eine Ecke meines Schädels kauert wie ein Welpe, der bestraft wurde.
»Ich weiß nicht, wo ich war«, nuschele ich. »Aber ich weiß, wo
ich jetzt hingehe, und das muß im Augenblick reichen. Ich gehe ins Badezimmer.«
In Emmas Badezimmer, das jeden erdenklichen Luxus aufzuweisen hat, dafür aber wahnsinnig unordentlich ist – zahllose Flaschen mit allem, was man sich für seinen Körper jemals erhoffen und erträumen kann, nehmen die Regale, die Ablage der Wanne und das Fensterbrett ein -, ziehe ich meine Kleider einmal mehr aus und werfe sie eiligst in den Korb, den wir für unsere Schmutzwäsche verwenden.
Dann schleppe ich mich unter die Dusche, schließe die Augen und bleibe wie festgenagelt zehn Minuten lang unter dem Strahl heißen Wassers stehen. Schließlich bringe ich die nötige Energie auf, mich einzuseifen und mein verklebtes, nach Rauch stinkendes Haar zu waschen.
Während ich mich von den heißen Wasserstrahlen durchkneten lasse wie von einem kräftigen Shiatsu-Masseur mit spitzen Fingernägeln, muß ich dann doch der Tatsache ins Auge sehen, die ich bis jetzt versucht habe zu verdrängen.
Ich hatte meinen ersten One-Night-Stand – und ich kann mich an rein gar nichts erinnern, was ein ziemlicher Segen ist in Anbetracht der Tatsache, daß er mit dem Lüsternen Larry stattgefunden hat.
Ich sollte mir verändert vorkommen, statt dessen ist mir speiübel.
Ich verlasse die Dusche, hülle mich in ein flauschiges Handtuch und gehe in mein Zimmer, wo ich mich vor den großen Spiegel neben dem Kleiderschrank stelle. Ich lasse das Handtuch fallen, so daß ich nackt dastehe. Ich komme mir nicht verändert vor, und ich sehe auch nicht verändert aus. Keine verräterischen, fingergroßen Quetschungen, keine leidenschaftlichen Kratzspuren. Vielleicht ist gar nichts passiert, denke ich hoffnungsvoll. Ja, klar. Ich lag nackt im Bett neben diesem Lüstling
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