Wachgeküßt
Tisch in der Ecke, der Espresso trinkt und den Daily Telegraph liest, ist ein Elvis-Imitator, der nichts lieber macht, als sich eine Perücke mit Haartolle und einen weißen, verzierten Anzug mit hohem Kragen anzuziehen und zum Jail House Rock abzutanzen, mit schlenkernden Beinen und zackigen Hüftschwüngen.
Die Lady an der Bar, mit Chanelkostüm, Haarknoten und einem Konferenz-Namenssticker, ist in Wirklichkeit keine Anwältin, sondern eine Vertreterin für Sexartikel, deren große Aktentasche in geprägtem Leder eine ganze Sammlung perverser Gummispielzeuge enthält, die sie an frustrierte Hausfrauen im biederen Stadtteil Clapham Common verkauft.
Als mich das langweilt, rufe ich mir einen alten Lieblingstraum ins Gedächtnis zurück, was bedeutet, daß ich mich in Gedanken mit Tom Cruise als willigem Partner durch das ganze Kamasutra arbeite. Als Tom nur noch ein erschöpftes, keuchendes, übersättigtes Bündel in der Ecke meines Schafzimmers ist, und ich mich mit ihm nicht mehr amüsieren kann, werfe ich einen Blick auf die Uhr, bemerke, daß ein akzeptabler Zeitpunkt gekommen ist, um das Ganze zu beenden und unterbreche Masons Redeschwall just in dem Moment, als er gerade vom letzten Essen mit >Ken und Em< – also mit Kenneth Branagh und Emma Thompson – vor ihrer Trennung erzählt, schiebe meinen Stuhl zurück und verkünde meine Absicht, jetzt aufzubrechen.
Komischerweise bietet Mason mir an, mich nach Hause zu fahren. Komischerweise nehme ich das Angebot an. Das mag daran liegen, daß sich beim Aufstehen alles um mich herum schneller dreht als der buchhalternde, glitzernde Lycra-Discotänzer. Allein die Anstrengung, ein Taxi herbeizuwinken, hätte mich schon aus dem Gleichgewicht gebracht. Wieviel habe ich bloß in den vergangenen Stunden getrunken? Ich weiß, daß ich dazu neige, zuviel zu essen, wenn ich mich langweile, aber mir war nicht klar, daß sich diese Angewohnheit auch auf meinen Alkoholkonsum erstreckt. Gott sei Dank hat Mason an der nächsten Straßenecke geparkt.
Ich klammere mich an seinen Arm wie eine alte Oma, die beim Überqueren der Straße Hilfe braucht. Mason denkt wahrscheinlich, daß ihm das Glück hold ist. Während der vergangenen Stunde habe ich ihn verzückt und wollüstig angestarrt – ich sage
nur: Tom Cruise – und jetzt kralle ich mich an seinem Arm fest, als ob ich ihn niemals wieder loslassen wollte. Er merkt nicht, daß ich das nur tue, weil mich der Verdacht beschleicht, daß ich der Länge nach hinfalle, wenn ich ihn loslasse.
Zum ersten Mal an diesem Abend hält er den Mund. Schweigend fahren wir zurück nach Chelsea. Unser Schweigen wird nur unterbrochen von meinen gelegentlichen Anweisungen: »Hier nach links«, »die nächste rechts«, »geradeaus über die nächste Kreuzung«. Mehr habe ich den ganzen Abend über nicht von mir gegeben. Als wir uns dem Haus nähern, will ich plötzlich nicht, daß Mason erfährt, wo ich wohne. Statt dessen schicke ich ihn in die Straße, die direkt hinter der unseren liegt.
Er hält den großen, ledergepolsterten Wagen an und stürzt sich dann auf mich, während ich vom Alkohol benebelt versuche, den Gurt zu lösen.
Soviel zum Thema Rollentausch, denke ich, als er zur Attacke bläst und zur Vereinigung unserer Körper und Lippen schreitet. Mason benimmt sich genau so, wie ich es eigentlich tun sollte.
Sein Verhalten erinnert entfernt an einen Blutegel, der sich an einer offenen Wunde festgesaugt hat, aber es gelingt mir, mich aus dieser Umklammerung zu befreien.
Statt den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, den ich ihm gebe, indem ich wie eine Katze kämpfe, die absolut nicht gestreichelt werden möchte, grinst Mason mich nur glücklich an. Er gleicht einem übereifrigen Bernhardiner, der gerade seinen besonderen Liebling ausgiebig mit der Zunge abgeschleckt hat. Dabei glaubt er, mir einen Gefallen zu tun, weil er geruht, mich zu küssen, statt auch mal darüber nachzudenken, ob ich überhaupt Wert darauf lege, meinen Gaumen ausgerechnet von seiner Zunge kitzeln zu lassen.
Ganz offensichtlich will Mason mehr.
Ich nicht. Dumm gelaufen.
Die Gelegenheit klopft an die Tür, und ich mache nicht auf.
Larry wurde von der Liste an der Tür gestrichen, nachdem er verkündet hat, daß ich nicht – uff und nochmals uff – mit ihm geschlafen hatte. Erster Treffer.
Wenn es nach mir geht, kommt Mason nicht mal in die Startlöcher.
Zweiter Treffer.
Warum eigentlich? Er ist nicht häßlich. Er hat einen durchtrainierten
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