Wachgeküßt
Trockendock.
Glücklicherweise hat Mary, die Bürotratsche, wie geplant die Neuigkeit von Larrys offensichtlichem Mangel an Standfestigkeit schneller im ganzen Gebäude verbreitet, als ein Buschfeuer sich durch die ausgedörrte, staubige Steppe fressen kann. Er versucht genauso auf Distanz zu gehen wie ich. Und so tänzeln wir in größtmöglicher Entfernung, aber völlig synchron zueinander, quer durch den Raum, angestrengt darum bemüht, immer dort zu sein, wo der andere gerade nicht ist.
Sandra kann endlich ihre Geschenke loswerden, und wieder wird Rodney aufgefordert, eine Rede zu halten, die gnädigerweise kurz ausfällt, da er schon ziemlich betrunken ist. Nach außenhin sieht es Gott sei Dank aber so aus, als wäre er eher von Gefühlen überwältigt als vom billigen Fusel.
Der Chefredakteur überreicht die obligatorische goldene Armbanduhr und einen Scheck, beäugt angewidert das kalte Büfett und enteilt so bald wie möglich, die treuen Gefolgsleute im Schlepptau wie eine Reihe watschelnder Entlein, die hinter ihrer Mutter herlaufen. Larry bildet – zu unserer gegenseitigen Erleichterung – das Schlußlicht.
Als die hohen Tiere die Bühne verlassen haben, geht das Saufgelage erst richtig los. Diejenigen, die mit spitzen Lippen verächtlich an kleinen, weißen Plastikbechern mit Mineralwasser genippt haben, um den Schein zu wahren, steuern gezielt auf die an der Wand aufgereihten Weinkanister zu und trinken jetzt um so mehr.
Deshalb hat es mir auch nichts ausgemacht, heute zur Arbeit zu gehen. Denn die Arbeit ist heute keine Arbeit, sondern eine Party.
Ich betrachte das Büfett und versuche, mich für das geringste Übel zu entscheiden.
»Wer kommt eigentlich für Rodders, wenn er weg ist?« Mary gesellt sich zu mir und bietet mir noch mehr von dem billigen, warmen, schalen Weißwein an. Mir kommt allmählich der Verdacht, daß es sich dabei um Weinessig handelt.
»Keine Ahnung.« Ich entscheide mich für eine relativ harmlos aussehende Sahneschnitte und fange an, die kandierten Früchte rauszupicken. »Wird er überhaupt ersetzt? Rodney hat gar nichts gesagt. Also habe ich angenommen, daß sie eine Zeitlang den Leerlauf einschalten.«
»Der Leerlauf geht gerade in Rente.« Mary greift zögernd nach einem der durchgeweichten Sandwiches. »Das ist es, was sie ersetzen müssen.«
»Wieso? Er hat doch nicht wirklich gearbeitet, oder?«
Damien, die Quelle sämtlicher Büroneuigkeiten – da er es zu seiner Aufgabe gemacht hat, über die Angelegenheiten aller anderen Bescheid zu wissen -, spaziert vorüber, tapfer an einem von Jennys Betonwürstchen kauend.
»Anscheinend haben sie einen echten Überflieger aus Hongkong angeheuert«, sagt er und betastet vorsichtig seine Schneidezähne, um sicherzugehen, daß sie nicht wackeln.
»Ein Chinese, hm? Die ethnischen Minderheiten könnten hier durchaus etwas stärker vertreten sein.« Lionel gesellt sich zu uns, während er Tofu in seinen Mund stopft. Auch auf den dünnen Lippen kleben Tofukrümelchen, genauso wie in seinem spärlichen Bärtchen, das an Johannes den Täufer erinnert.
»Hat irgend jemand was von einem Chinesen gesagt?« Nigel, der das Büfett ebenfalls vorsichtig beäugt, so als wollte es ihn verschlingen und nicht umgekehrt, sieht hoffnungsvoll auf.
»Ich würde alles geben für Riesengarnelen in Austernsoße.«
»Hört sich nach einer guten Idee an... Wer ist dafür, daß wir zum Chinesen gehen?« greift jemand anderer den Faden auf.
»Hört sich eher so an, als sei die chinesische Gerüchteküche am Brodeln«, sage ich zu Mary, die zustimmend nickt.
»Aber trotzdem eine verdammt gute Idee.«
Wir beschließen, alle zusammen zu Mr. Woo’s zu gehen, einem Restaurant in Soho. Der Kater Rupert Murdoch bleibt allein zurück und schleckt nachdenklich den Käse von Marys preisgekrönter Quiche.
Bei Mr. Woo’s ist man nicht gerade erfreut darüber, uns zu sehen, eine lärmende Bande von ungefähr zwanzig Leuten, die sich in unterschiedlichen Stadien der Trunkenheit befinden, nicht reserviert haben, hereinplatzen, das Kommando übernehmen und verlangen, sofort einen Platz, etwas zu essen und zu trinken zu bekommen.
Der Maître d’Hotel, beziehungsweise das chinesische Gegenstück dazu, stößt einen wütenden Wortschwall in Kantonesisch aus, den man frei etwa mit »nix leselwielt, nix essen« übersetzen könnte. Erst als Damien und Nigel ihm ein fettes Trinkgeld zustecken und ihm versprechen, daß sein Restaurant ganz sicher in Marys
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