Wachsam
bei jedem ihrer wiegenden Schritte lugte zaghaft ein weißes, marmorglattes Knie durch den Schlitz des Gewandes. Englisch bis ins Mark, dachte Cassidy mit Erleichterung, was für ein Auftritt; als Profi würde sie Furore machen. Mit einer knappen Bewegung von Daumen und Zeigefinger schaltete sie das Radio ab, stellte es auf den Couchtisch, glättete die Staubhülle, als wäre sie feinstes Linnen, gab ihm dann ernst die Hand und forderte ihn auf, Platz zu nehmen. Sie ließ sich ein Glas reichen und entschuldigte sich für die Unordnung mit leiser, fast demütiger Stimme. Cassidy sagte, er verstehe vollkommen, er wisse, was ein Umzug bedeute, er hatte das in den letzten Jahren ein paar mal durchexerziert. Irgendwie gelang es ihm mühelos, durchblicken zu lassen, daß jeder Umzug eine Verbesserung bedeutet habe.
»Mein Gott, sogar ein Wechsel der Büroräume , wenn man Sekretärinnen und Angestellte hat, sogar die eigenen Handwerker, ist eine Sache von Monaten. Sage und schreibe Monaten . Und erst hier …«
»Wo haben Sie Ihr Büro?« fragte Helen höflich.
Cassidys hohe Meinung von ihr stieg weiter.
»South Audley Street«, sagte er prompt. »West Eins. Gleich bei der Park Lane. Wir sind letztes Frühjahr eingezogen.« Gern hätte er hinzugefügt, sie habe es vielleicht in The Times Business News gelesen, doch die Bescheidenheit gebot ihm Einhalt.
»O wie wunderhübsch .« Sie ordnete züchtig ihre Röcke, so daß sie die unvergleichlichen Schenkel bedeckten, und setzte sich aufs Sofa.
Ihrem Ehemann gegenüber zeigte sie größere Zurückhaltung. Ihre Augen ließen nur selten von seinem Gesicht ab, und Cassidy verfehlte nicht, die Besorgtheit in ihrem Blick zur Kenntnis zu nehmen. Wie gut verstand er doch, seit eh und je, die Gefühle einer hübschen jungen Frau! Ein trunksüchtiger Ehemann war schon Last genug. Doch wer weiß, welche weiteren Schläge ihr Stolz in den letzten Monaten erlitten hatte, die Auseinandersetzungen mit Anwälten, die haushohen Kosten, die mit einem Todesfall verbunden waren, der schmerzliche Abschied von treuen Dienern, die zerschlissenen mürben Angebinde in verschwiegener Lade? Und wie viele Kauflustige hatten in diesen Tagen rücksichtslos die teuren Gemächer ihrer Jugend durcheilt, grobschlächtige Kritik geäußert und sich ohne ein Wort der Hoffnung wieder entfernt. Ich will ihr die Bürde erleichtern, beschloß er; ich will die Unterhaltung auf mich nehmen. Nachdem er in knappen Umrissen noch einmal die Gründe für seine unvermeldete Ankunft dargetan hatte, schob er die Schuld kurzerhand in die Schuhe von Grimble & Outhwaite :
»Ich habe nichts gegen sie, sehr ordentliche Leute, in ihrer Art. Ich mache schon seit Jahren Geschäfte mit ihnen und werde das wohl auch weiterhin tun, aber, wie alle diese alten Firmen, sind sie lasch geworden.« Unter dem Samt kam der Stahl zum Vorschein. »Ich habe vor, diese Sache ziemlich deutlich zur Sprache zu bringen.« Shamus, der unter dem Vorhang die Beine gekreuzt hatte und sich in einer Haltung kritischen Überlegens zurücklehnte, nickte nur energisch seine Zustimmung und sagte: »Wackerer Cassidy«, doch Helen versicherte ihm, daß sein Besuch durchaus gelegen komme, er sei jederzeit willkommen, und es mache wirklich nichts aus:
» Nicht wahr, Shamus?«
»Ganz und gar nichts, Lover«, sagte Shamus herzlich. »Ist uns ein Fest.« Und er nahm mit einem sich fast bis zum Besitzerstolz steigernden Behagen sein Studium des unerwarteten Besuchers wieder auf.
»Tut mir so leid wegen des Rauchs«, sagte Helen.
»Oh, das macht gar nichts«, sagte Cassidy und hielt sich mit Mühe zurück, eine Träne abzuwischen. »Ich hab’s sogar ganz gern. Ein Holzfeuer gehört zu den Dingen, die in London einfach nicht zu kaufen sind. Um keinen Preis, glaube ich.«
»Ist alles meine Schuld«, gestand Shamus. »Das Brennholz war ausgegangen, also habe ich den Tisch zersägt.«
Shamus und Cassidy lachten herzhaft über diesen guten Witz, und nach sekundenlangem Zögern stimmte Helen mit ein. Ihr Lachen war, wie er lobend feststellte, bescheiden und bewundernd: Im allgemeinen mochte er es nicht, wenn Frauen Humor hatten, er konnte zu leicht auf seine Kosten gehen, doch Helen war anders, das sah er: Sie kannte ihren Platz und lachte nur mit den Männern.
»Aber Mahagoni hat einen schrecklichen Nachteil.« Shamus sprang auf und nahm Kurs auf die Flasche. »Es will einfach verdammt nicht so brennen wie die schlichteren Holzarten. Verweigert entschieden
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