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Wachsam

Wachsam

Titel: Wachsam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carre
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von ihm erstreckten, vergoldete kindliche Unschuld alles, was er sah. Die ganze Zukunft war ein einziges langes Abenteuer mit seinen neuen Freunden: Gemeinsam würden sie die Welt durchstreifen, auf fernen Meeren segeln, auf Flügeln des Gelächters den Himmel ersteigen. In Devizes, wo der Regen einsetzte und dumpfe Übelkeit sein gastrisches System ergriff, war er zwar noch immer mäßig euphorisiert, doch der Anblick der einkaufenden Hausfrauen und der Mütter mit Kinderwagen gab ihm zu denken. Bis er Reading erreichte, hatte er fürchterliche Kopfschmerzen und war zu der Überzeugung gelangt, Helen und Shamus müßten entweder ein Traum sein oder ein Paar Schwindler, die sich als Berühmtheiten ausgaben.
    »Schließlich«, argumentierte er, »wenn sie das sind, was sie vorgeben zu sein, warum sollten sie sich für mich interessieren?«
    Und später: »Ich bin ein Durchschnittsmensch. Leute wie ich haben keinen Anteil am Leben eines Künstlers.«
    Er rekonstruierte Helens tour d’horizon von Shamus’ These über die Beziehung zwischen Künstler und Bourgeois und fand sie schwach, wirr, äußerst anfechtbar.
    Wäre es meine Meinung gewesen, dachte er, ich hätte sie besser formuliert: alles nur Schaumschlägerei.
    Bei der Einfahrt in die Londoner Vororte war er zu gewissen nützlichen Schlüssen gelangt. Er würde nie wieder von Helen oder Shamus hören; sie waren vermutlich Hochstapler, und er konnte von Glück sagen, daß er noch seine Brieftasche hatte, und ob sie nun wieder auftauchten oder nicht, sie gehörten in jedem Falle, zusammen mit anderen Erscheinungen, zu jenem Teil von Cassidys Welt, den man um des allgemeinen Friedens willen am besten nie wieder betrat.
    Er hätte sie an dieser Stelle in der Tat abgeschrieben, wenn ein kleiner Zwischenfall ihn nicht gewaltsam an Shamus’ unangenehm persönliche Bemerkungen erinnert hätte.
    Er hielt in einer Parkbucht und durchsuchte die Taschen seines Wagens nach verräterischen Souvenirs, als er in einer Handschuhtasche ein zerknülltes Blatt Papier fand. Es war die Speisekarte aus Brunos Restaurant in Bath, worauf Shamus, wie er in seiner Einfalt glaubte, unsterbliche Prosa geschrieben hatte. Auf der Rückseite, links, befand sich in Bleistift Cassidys Porträt, von Shamus gezeichnet, und am Rand standen Wörter, mit Pfeilen versehen, die zeigten, auf welches Detail die Wörter sich bezogen. ›Babybäckchen, zum Erröten geeignet; edle Stirn, von vagen Seelenqualen gefurcht; Augen, braunüberwuchert und sehr, sehr unstet.‹ Über dem Kopf stand in Großbuchstaben das Wort GESUCHT und darunter eine weitere Beschreibung Cassidys.
    NAME : Cassidy, Butch. Auch bekannt als Hopalong, Christopher Robin und Paul Getty.
    VERBRECHEN : Unschuld (s. Greene: ein Aussätziger ohne Schelle).
    RELIGION : Erste Kirche vom Pessimistischen Christus.
    URTEIL : Z u lebenslänglichem Leben.
    Die andere Hälfte der Speisekarte enthielt einen Brief, adressiert an den LOVER .
     
    Liebster Lover ,
    ich hoffe, es geht Euch gut, mir auch. Vielen Dank für die reizende Party. Ein paarmal schon hatte ich Euch geliebt, noch ehe mir Euer Gesicht und Name bekannt. Verzeiht also die häßliche Zeichnung, das Aug ist unbestechlich, doch das Herz ist Euer.
    In Liebe, in Liebe, in Liebe
    P. Scardanelli, alias Flaherty, alias Shamus.
     
    Was für ein typischer Studentenulk, dachte Cassidy entrüstet; wie peinlich. Seufzend warf er die Karte weg. Und so was spricht von verelendeten Homos …
    ›Schon mal jemanden umgebracht, Lover?‹ fragte eine Stimme aus seinem Inneren. Er stellte das Radio an und fuhr südwärts in Richtung Acton. Kunst ist recht und schön, dachte er, aber manchmal geht sie entschieden zu weit.
     
    Sein Geschäft in Acton erledigte er kurz und erfolgreich. Ein Großhändler namens Dobbs, ein notorischer Querulant, aber wichtiger Kunde, hatte Einwände gegen die neuen Sitz-Liegewagen im Leder-Look und liebäugelte mit der Konkurrenz. Cassidy hatte nie viel von Sitz-Liegewagen gehalten, die er für eine mißglückte Kreuzung zwischen dem einfachen Sportwagen und dem vollwertigen Kinderwagen hielt, aber sie bildeten eine nützliche Reserve im Frühjahr, wenn die Nachfrage unberechenbar war. Er vermutete zu Recht, daß ein persönlicher Besuch die Unstimmigkeiten beilegen werde.
    »Na, den Chef höchstpersönlich habe ich nicht erwartet«, gestand Dobbs nervös. »Was ist denn mit dem Vertreter los, Meister?«
    Er hat viel Haare gelassen, stellte Cassidy fest; die zweite Ehe

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