Wachsam
sonst nichts, und die Burschen, die ihre Freiübungen in der frischen Luft machen, vielleicht mit ihren Mädchen. Der einzige Haken sind die Nächte, meinen Sie nicht auch?«
»Ja, gewiß«, stimmte Cassidy zu.
Mit kindlicher Faszination beobachtete Shamus, wie er dem Kellner Trinkgeld gab. Es war ein sehr großzügiges Trinkgeld, aber der im Ausland weilende Cassidy war stets bestrebt, starke Barrieren gegen Respektlosigkeiten zu errichten.
»Was werden Sie neunzehnhundertachtzig machen?« fragte Shamus, als die Transaktion abgeschlossen war.
»Verzeihung?«
»Die Weltbevölkerung wächst jährlich um siebzig Millionen, Lover. Verdammt viele Leute, denen man Trinkgeld geben muß, nicht wahr? Sogar für Sie.«
Ihr Abschied war gleicherweise rätselhaft.
»Geht es Ihnen gut? « fragte Cassidy zweifelnd, als er Shamus in die Halle begleitete.
»Keine Angst, Lover. Bis zur Nacht werde ich in Ordnung sein.«
»Bißchen zuviel von Elsie erwischt, nehme ich an.«
»Von wem?«
»Elsie.«
»Klar – Lover.«
»Ja?«
»Sie lassen’s mich mit diesen Kinderwagen versuchen, nicht wahr?« Seltsame Hilflosigkeit hatte die frühere Angriffigkeit ersetzt. »Nur … nun, Sie wissen, daß ich deshalb hierhergekommen bin. Ich weiß, daß ich es kann . Verkaufen. Ich glaube, ich könnte sogar eine echte Berufung daraus machen. He Lover.«
»Ja.«
»Danke für den Anzug.«
»Schon gut.«
»Der Hummer war fabelhaft.«
»Freut mich, wenn er Ihnen geschmeckt hat.«
»Fabelhaftes Brot auch. Knusprig außen, mollig in der Mitte. – Sie haben so viel, was ich brauchen könnte«, bemerkte Shamus plötzlich und legte die Hände auf Cassidys Schultern. »He, hören Sie zu …« Cassidy hörte zu. »Wir müssen einander lieben. Das große Experiment, wie Schwarze und Weiße und der ganze Mist. Aber wenn ich Sie nicht ganz habe, dann habe ich gar nichts von Ihnen. Sie sind ein so großer glitschiger Fisch. Ich kann Sie anfassen, aber ich weiß nicht, wo Sie zu Ende sind … Sie sind gräßlich , Ehrenwort …«
Cassidy lachte verlegen. »Vielleicht ist es ganz gut, daß Sie es nicht wissen«, sagte er und machte sich los für den Fall, daß Shamus eine öffentliche Umarmung im Sinne hätte. »Übrigens, Sie haben nicht ein Exemplar des Buches dabei, wie?«
Irgendwo im braunen Dunkel von Shamus’ Augen glomm ein Warnlicht auf und blieb brennen.
»Und wenn ja?«
»Ich würde es nur gern lesen, weiter nichts. Falls Sie es dabei haben. In welchem Stadium ist es eigentlich?« fügte er hinzu. Als er keine Antwort erhielt, versuchte er es mit einer Reihe anregender Fragen. »Wird es verfilmt wie Moon? Möchte wetten, daß einiges dabei herauskommt. Ganz abgesehen vom Buchverkauf … Auch Paperback vermutlich?« Während er noch immer redete, zog Shamus sich in den Lift zurück. »Wissen Sie«, sagte Shamus, als seine Füße im Liftschacht hochschwebten, »wenn ich Flaherty wäre, könnte ich dieses Ding aus eigener Kraft hochhieven.«
Es war Mitternacht, als Cassidy zu ihm zurückkam. Er hatte geschäftliche Besprechungen in der Bar des Bristol gehabt und ein weiteres Treffen mit Bloburg, und um elf hatte eine Public-Relations-Dame angerufen, um den Text von Waschzetteln durchzugehen. Shamus lag wie ein toter Zwiebelverkäufer flach auf dem Bauch auf der Bettdecke, wieder in seinem schwarzen Rock, das Gesicht in der Baskenmütze. Der neue Anzug hing ordentlich im Schrank, und am Revers steckte ein Ausstellerabzeichen. Die Prospekte lagen neben ihm auf dem Boden verstreut. Ein liniierter Briefblock stand auf dem Kaminsims.
›Sehr geehrte Herren‹, lautete die Mitteilung. ›Haben Sie die Güte, Endunterzeichnenden morgen früh pünktlich für die Messe wecken zu wollen, Ihr gehorsamer untertänigster Diener Shamus P. Scardanelli (Verkäufer).‹ Das Postskriptum hieß: › Bitte , Lover, bitte . Hoch verbindlich. Lebenswichtig. Und Lover, verzeih, bitte verzeih.‹
Ein Lastwagen parkte unter dem Fenster, und Arbeiter luden Kisten auf dem Kopfsteinpflaster ab und riefen sich Scherze zu, die er nicht verstand.
Ich hätte ihm auch einen Schlafanzug kaufen sollen, dachte Cassidy. Warum muß er sich in diesen Rock wickeln?
Er schläft wie Hugo, nur ruhiger, die Wange an den Unterarm gepreßt und die Lippen vorgeschoben.
Drunten auf der Straße rief eine Frau, eine Hure nach dem Klang ihrer Stimme und betrunken dazu. Ist es das, was ich von ihm erwarte: den Kuppler für mich spielen? Verzeih , Lover , verzeih .
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