Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
aus Rachels Mund, bevor sie es verhindern konnte, rasch gefolgt von einem zweiten. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie lachhaft all das war, was sie eben gehört hatte: dass Lachlan tot sein sollte, Drew ein Dämon und Em in der Lage, in den Himmel zu fliegen. Bis jetzt hatte Rachel die Fassung bewahrt. Aber sich Em als eine Art übernatürliches Supergirl vorzustellen war einfach zu viel für sie. Rachel gluckste wieder und wieder. Und von einem Moment auf den anderen brach sie in ein solches Gelächter aus, dass ihr der Bauch weh tat und ihr Tränen über das Gesicht strömten. Sie lachte, bis Lachlan eingriff und den hysterischen Anfall mit einem Kuss beendete – keinem heißen Kuss, sondern einem unfassbar zärtlichen. Er presste seine Lippen mit genug Glut und Leidenschaft auf ihre, um Rachel wieder zur Vernunft zu bringen, aber nicht mehr. Außerdem lagen Verständnis und Akzeptanz, Trost und Selbstgenügsamkeit in diesem Kuss, der langsam und zart war, als hätten sie alle Zeit der Welt. Als würde es keine Rolle spielen, dass Lachlan offenbar von Wahnvorstellungen besessen war. Aber es spielte eine Rolle. »Es tut mir leid«, seufzte Rachel an seinen Lippen. »Ich würde das alles ja gern glauben, aber ich –«
»Sch«, sagte er leise und küsste sie erst auf den Mundwinkel, dann auf die Nasenspitze. »Ich verstehe schon.«
Schwach, wie sie war, ließ Rachel zu, dass er sie erneut küsste und in die Arme nahm. Nur für einen Augenblick wollte sie die Augen schließen, den Kopf an seine Brust legen und so tun, als wäre alles in ihrem Leben völlig normal und ihr Mann ein ganz gewöhnlicher Kerl – ein Steuerberater vielleicht. Jedenfalls kein Priester, kein Seelenwächter und auch kein Irrer. Andere Frauen hatten doch auch normale Freunde.
War das denn zu viel verlangt?
Lachlan ließ widerstrebend eine schweigende und nachdenkliche Rachel an ihrem Schreibtisch zurück und ging hinunter auf den Besucherparkplatz, wo ihn die Herrin des Todes bereits erwartete. Ganz in Schwarz gekleidet lehnte sie an der glänzenden Kühlerhaube von Lachlans Auto. Sie trug eine enge Jeans, ein Baumwollhemd und Cowboystiefel mit niedrigem Absatz. Ein langer weißer Pferdeschwanz rundete ihr Äußeres ab. Es fehlte nur noch das fahle Pferd.
»Meine Herrin«, begrüßte er sie argwöhnisch. »Was verschafft mir die Ehre?« Lachlan konnte sich nicht daran erinnern, wann Ihre Majestät zum letzten Mal zu ihm gekommen war. Sie musste täglich über zweihunderttausend Menschen zeichnen und war eine vielbeschäftigte Göttin. Normalerweise war es umgekehrt – er musste sich ihrem Terminplan unterwerfen.
Sie richtete sich zu ihrer vollen, majestätischen Größe auf. Der schmalen Linie ihrer dunkelroten Lippen nach zu urteilen war sie verärgert. »Waren meine Anweisungen nicht deutlich genug, Wächter?«
»Welche Anweisungen?«
»Du solltest mich über jedes ungewöhnliche Vorkommnis in Kenntnis setzen.«
»Ich erinnere mich. Wenn ich es versäumt habe, bitte ich um Entschuldigung. Im Moment scheint fast alles ungewöhnlich zu sein.«
Sie funkelte ihn an, doch das Funkeln erlosch rasch und wurde durch einen nachdenklichen Blick ersetzt. »Wie viele Kollekten hast du in der letzten Woche durchgeführt?«
»Neun.«
»Und keine davon war irgendwie … seltsam?«
»Nein«, erwiderte Lachlan langsam, während er im Geiste alle Kollekten noch einmal durchging. »Warum?«
»Irgendetwas braut sich zusammen.«
Lachlan hob die Augenbrauen. »Ihr meint, abgesehen von all den lächerlichen Dämonenattacken und nervtötenden Verspätungen der Engel?«
»Pah! Was die Seelenbegleiter machen, ist nicht von Belang. Ich meine es ernst. Bei der monatlichen Zählung der Seelen hatte Satan zum ersten Mal seit zwei Jahrtausenden mehr Seelenzugänge zu verzeichnen als Gott. Ich war schockiert, aber offenbar nicht annähernd so schockiert wie Erzengel Michael. Er ist über die Nulllinie gesprungen, hat Luzifer am Schlafittchen gepackt und ihn des Betrugs bezichtigt. Das sieht man nicht alle Tage. Michael ist normalerweise ein Muster an Höflichkeit.«
»Und warum erzählt Ihr mir das?«
»Weil Michael erwähnte, dass er dir –« Die Herrin des Todes unterbrach sich. Sie senkte die Lider, um ihren frostigblauen Blick zu verschleiern. »Das tut nichts zur Sache. Ich muss alles wissen, was letzthin passiert ist. Komm her. Ich will dich lesen.«
Lachlan zögerte. Seine Herrin konnte jedes einzelne Detail seiner Kollekten abrufen,
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