Wächter des Elfenhains (German Edition)
noch etwas näher - und umarmte ihn.
„Es tut mir leid, Andion. Es tut mir so leid. Ich liebe dich. Ich liebe dich wirklich. Bitte glaub mir, mein Sohn!“
Ein heftiges Zittern überlief ihn. Mühsam schluckte er an den Tränen, die heiß in ihm emporquollen.
„Ich weiß das,“ presste er hervor. „Ich weiß das doch.“
Sie bebte jetzt ebenfalls und schlang noch fester die Arme um ihn. Andion schloss die Augen, versank in der seltenen, kostbaren Berührung, wünschte, der Augenblick würde niemals enden und sie könnten bis in alle Ewigkeit so dastehen, vereint in der Liebe und Geborgenheit, nach der er sich so sehr verzehrt hatte. Aber das lag nicht in seiner Macht; der Moment zerrann wie Wasser auf heißem Sand. Viel zu schnell ließ sie ihn wieder los, doch immerhin versuchte sie zu lächeln, versuchte, dem Blick seiner unheimlichen grünen Augen standzuhalten.
Das war mehr, als er jemals hatte erhoffen dürfen. Und plötzlich dachte er an Kenneth und seine Kumpane, dachte daran, wie sich der Ausdruck in den Augen seiner Mutter wandeln würde, würde er ihr gestehen, dass er drei seiner Mitschüler mit ein paar beiläufigen Faustschlägen ins nächste Krankenhaus befördert hatte.
Die Gründe wären bedeutungslos. Sollte sie je erfahren, dass er zu Gewalt fähig war, würde er auch diese wenigen Augenblicke, in denen sie ihn tatsächlich lieben konnte, verlieren. Nie, niemals durfte das geschehen! Lieber würde er sich von Kenneth umbringen lassen!
Als er wenig später die Wohnungstür aufschloss und ins Treppenhaus hinaustrat, wartete Ian bereits auf ihn. Sein Gesicht war ernst, doch nicht mehr so streng und abweisend wie in der Nacht zuvor, und düstere Wolken der Sorge verdunkelten das sonst so strahlende Blau seiner Augen, als er Andion durchdringend musterte. Andion antwortete ihm, bevor er noch seine Frage hatte stellen können.
„Es ist alles in Ordnung, Ian.“
Das war es wirklich, mehr als jemals zuvor in seinem Leben.
Ian schien es zu spüren, denn seine Miene hellte sich sichtbar auf.
„Das ist gut.“
Wie jeden Morgen verließen sie gemeinsam das Haus, trennten sich jedoch ein paar Minuten später, da Ian noch einige Einkäufe erledigen musste. Andion hingegen schlenderte ohne Eile weiter die Straße entlang, die ihn zum Park führen würde.
Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Mr. Perry hatte ihn bestrafen wollen, doch im Grunde hatte er ihm mit der Woche Zwangsurlaub sogar einen Gefallen getan. Nach einer Nacht wie dieser hätte er sich in der qualvollen Enge des alten Schulgebäudes vermutlich ohnehin über kurz oder lang röchelnd und mit glasigem Blick auf dem staubigen Boden des Klassenzimmers wiedergefunden, und das war etwas, worauf er gerade heute getrost verzichten konnte.
Wenn er doch nur schon im Park wäre! Obwohl er sich in Oakwood heimischer fühlte als an jedem anderen Ort, an dem er bisher gelebt hatte, gab es auch hier wie in allen übrigen Städten Dinge, an die er sich wohl nie gewöhnen würde. Auch hier ragten die kalten, grauen Fassaden der Gebäude wie gewaltige Grabsteine in den Himmel empor, erhoben sich wie düstere Mahnmale des Todes, die die engen Schluchten zwischen ihren hohen Mauern mit ewigem Schatten füllten. Beinahe überall bedeckten Beton und Asphalt den Boden, schnitten ihm die Luft und die Nährstoffe ab, und die wenigen Gräser, die kühn in den winzigen Ritzen zu wachsen wagten, wurden mit stinkenden Chemikalien vergiftet und siechten langsam ihrem qualvollen Ende entgegen.
Auch die Eichen, Kastanien und Buchen, einst erhabene Hüter unzähliger Tiere und Wesen des Kleinen Volkes, waren zu schwachen, kränklichen Zerrbildern ihrer einstigen Größe verkümmert und fristeten in spärlichen Inseln aus karger, von tausenden gleichgültiger Füße hart getretener Erde entlang der Rinnsteine Oakwoods ihr trostloses Dasein, kaum in der Lage, mit ihren verzweifelt tastenden Wurzeln zwischen Rohren, Kabeln und altem Müll genug Nahrung und Wasser für sich selbst zu finden.
In der Danann Lane, die von ihrem Haus beinahe bis zum Park führte, war das nicht anders, und wie so oft, wenn er an ihnen vorbei die breite Straße hinabschritt, schien das leise, schmerzerfüllte Wimmern der bis zur Unkenntlichkeit kultivierten Bäume wie das Wehklagen verlorener Seelen durch seinen Geist zu wehen, ein schauriger Chor von Verdammten, die auf ewig in den Feuern der Hölle brannten und wussten, dass Erlösung nur eine Lüge war. Er hörte all die
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