Wächter des Elfenhains (German Edition)
mächtigen Eichen und Tannen des Hains, so als sei der Park nichts weiter als ein Bild, das mit schwachen Wasserfarben über ein bereits existierendes Gemälde gemalt worden war und nun im Licht der Sonne langsam verblasste.
Staunend schaute er zu Ian, und obwohl er ihn nun schon so viele Jahre kannte, war es, als sähe er ihn heute zum ersten Mal wirklich.
„Es ist alles real“, flüsterte er ergriffen, und die Bedeutung dieser Erkenntnis ließ den düsteren Schatten seines Vaters – zumindest für den Moment – von ihm fortweichen und erfüllte ihn mit einem unerwarteten, tiefen Gefühl der Dankbarkeit und Ehrfurcht. „Ich halluziniere nicht!“
Ein Lächeln glitt über Ionosens Gesicht, als er den Wandel in seiner Stimmung bemerkte. „Natürlich nicht. Ich sagte dir ja, dass du mir in dieser Hinsicht vertrauen kannst, und jetzt kennst du die Wahrheit selbst. Du kannst den Hain sehen und die Stimmen der Sylphen im Wind hören, weil in deinen Adern das Blut eines Elfen fließt.“
Andion holte zitternd Luft und wischte sich mit einer Hand über die feuchten Augen. Er spürte, wie ein giftiger Stachel, der all die Jahre in seiner Seele gesteckt und ihn mit Zweifel und Selbsthass erfüllt hatte, ein für alle Mal aus ihm herausgespült wurde und sich alle bizarren Bruchstücke seines seltsamen Daseins, die bisher fremdartig und surreal gewesen waren, zu einem neuen Muster zusammenfügten, einem Muster, in dem das albtraumhafte Martyrium seiner Existenz endlich einen Sinn ergab. Ein eigenartiges Gefühl der Leichtigkeit ergriff von ihm Besitz, und zum ersten Mal in seinem Leben brachte er den Mut auf zu glauben, dass das Universum auch für ihn einen Platz bereithielt, an den er gehörte, einen Ort, der selbst für ihn zu einer Heimat werden konnte.
Er spürte in sich hinein, kostete die neuen, ungewohnten Empfindungen, die in ihm erwachten, und erlangte unvermittelt eine weitere Gewissheit.
„Der Zugang zum Hain ist hier im Park“, rief er verblüfft.
Ionosen nickte lächelnd. „Ja. Deshalb hast du dich hier so wohl gefühlt. Obwohl du es nicht wusstest, hast du seine Nähe immer gespürt.“
Andion schloss die Augen, verfolgte mit gebannter Faszination, wie Blumen intuitiver Verknüpfungen spontan in seinem Geist erblühten – und sog scharf Luft ein. „Es ist der letzte Zugang!“
Ionosens Lächeln verschwand, und ein Schatten fiel über sein Gesicht. „Das stimmt. Es ist der einzige, der noch existiert – der einzige von tausenden.“
Andion starrte ihn erschüttert an. „Aber ... wie konnte es bloß so weit kommen? Ich hätte niemals gedacht, dass es so schlimm um die Elfen steht!“
Ionosen seufzte. „Jahrhunderte voller Unglauben und Ignoranz auf der einen und Verbitterung auf der anderen Seite haben sehr wirkungsvoll dafür gesorgt, dass sich die beiden Welten immer mehr voneinander entfernt haben. Die Menschen vergaßen unsere Existenz, und wir lernten, sie für ihre Engstirnigkeit und die gedankenlose Brutalität zu verachten, mit der sie alles zerstörten, was ihnen bei der Verwirklichung ihrer technokratischen Allmachtsfantasien in den Weg geriet. Und so gab es niemanden, der die verhängnisvolle Entwicklung hätte aufhalten können oder wollen.“ Er machte eine resignierte Geste in die Runde. „Die gemeinsame Zeit der Elfen und Menschen neigt sich, so fürchte ich, unwiderruflich ihrem Ende entgegen. Die Bäume, die du hier siehst, sind tatsächlich der einzige Anker, den unser Hain noch in der Welt der Menschen besitzt. Wenn sie gefällt werden, wird der Hain endgültig im Zwielicht des Vergessens versinken, denn es würde bedeuten, dass die Menschen auch noch den letzten kümmerlichen Rest ihres Wissens um ihre Verbundenheit mit der Natur und den unsichtbaren Reichen verloren hätten. Dann gäbe es keinen Weg mehr zurück.“
„Aber das hier ist Oakwood !“, rief Andion. „Die Leute hier lieben ihren Park! Sie würden niemals diese Bäume fällen. Sie sind immerhin das Wahrzeichen der Stadt!“
Ionosen hob die Schultern. „Ja, vielleicht. Es scheint, als würden die Einwohner Oakwoods tatsächlich spüren, dass dieser Ort hier etwas ganz Besonderes ist.“ Ein wehmütiges Lächeln spielte um seine Lippen, und der Blick seiner blauen Augen verlor sich in einer unbestimmten Ferne. „Möglicherweise gibt es doch noch Hoffnung. Es wäre schön, auch wenn die meisten der übrigen Elfen vermutlich nicht meiner Meinung wären. Aber trotz all ihrer Fehler habe ich niemals
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