Waechter des Labyrinths
Debitkarte auswendig, erhöhte das Guthaben und wählte Viktors Nummer. Nie war ihm bewusster gewesen, was für ein Risiko er einging. Irgendwann würden die Nergadses erfahren, was er getan hatte; und für sie war es eine Frage des Stolzes, dass ihnen niemand in die Quere kam und ungestraft blieb.
«Hier ist Viktor», sagte ein Mann. «Wer ist da?»
«Edouard Zdanevich», flüsterte Edouard. Trotz des laufenden Wassers befürchtete er, dass man ihn draußen hören könnte. «Wir haben uns bei meinem Bruder Tamas kennengelernt.»
«Ja», sagte Viktor. Er klang hellwach, obwohl es in Georgien früh am Morgen war. «Er hat mir schon gesagt, dass Sie vielleicht anrufen. Was kann ich für Sie tun?»
Edouard zögerte, er wusste nicht genau, wie er anfangen sollte. «Es geht um meine Frau und meine Kinder», sagte er. «Sie sind in Gefahr.»
«Sie rufen mich wegen Ihrer Frau und Ihrer Kinder an?»
«Die Nergadses haben sie», sagte Edouard leise. «Sie benutzen sie als Geiseln.»
«Als Geiseln? Wofür?»
Am anderen Ende der Leitung waren merkwürdige Geräusche zu hören. Das Klicken und Summen und leise Gemurmel deutete auf hektische Aktivitäten im Hintergrund hin, darauf, dass Leute zuhörten, andere geweckt und gebrieft wurden. Edouard holte tief Luft. «Ich habe heute Morgen mit meiner Frau gesprochen», begann er. «Sie sagte, dass sie und die Kinder mit Ilja ausgeritten sind. Dann sagte sie, dass Kiko schon einmal geritten ist, mit einem gewissen Nikolos Badridse.»
«Ich kann Ihnen nicht ganz folgen.»
«Badridse war ein Kinderschänder. Meine Frau versuchte mir zu sagen, dass Ilja Nergadse … dass er meinen Sohn belästigt.»
«Sie sind ausgeritten, sagen Sie? Das klingt nicht gerade nach Belästigung.»
«Um Himmels willen!», flehte Edouard. «Sie müssen etwas unternehmen.»
«Glauben Sie, ich könnte auf dieser Grundlage gegen einen Mann wie Ilja Nergadse vorgehen? Sind Sie verrückt?»
«Sie müssen es tun.»
«Nein, muss ich nicht. Wirklich nicht.»
«Aber mein Sohn …»
«Dann geben Sie mir etwas Konkretes», sagte Viktor. «Ich weiß, dass Sie das können. Sie sind ein Insider, deswegen habe ich mich damals überhaupt an Sie gewandt. Wenn ich etwas Konkretes habe, kann ich auch etwas unternehmen. Wir können Ihre Familie dort rausholen, und wer weiß, was bei einer Durchsuchung herauskommt. Aber ohne konkrete Hinweise …» Nadja schrie wieder, und ihre Schreie waren so laut, dass Viktor sie trotz des laufenden Wasserhahns hören konnte. «Was war das?», fragte er.
Edouard zögerte. Sag ihm, was los ist, vielleicht benachrichtigt er die Griechen, und sie schicken die Polizei, meldete sich eine Stimme in ihm. Doch die Nergadses würden sofort wissen, wer sie verraten hatte, und seine Frau und seine Kinder würden furchtbar dafür büßen. «Unten läuft der Fernseher», sagte er schließlich.
«Ach so», meinte Viktor.
«Sie brauchen einen konkreten Grund, um etwas zu unternehmen», sagte Edouard. «Na schön. Wie wäre es damit: Genau in diesem Moment zerstören Sandro und Ilja Nergadse kostbare Kunstschätze, die dem georgischen Staat gehören.» Er erzählte von seinem Gespräch mit Sandro und von dem Plan, den turkmenischen Schatz einzuschmelzen, um ein Goldenes Vlies zu fälschen.
«Und diese Schätze gehören nicht den Nergadses? Wissen Sie das genau?»
«Sie haben sie dem Staat übergeben, vor Gott weiß wie vielen Fernsehkameras und Medienvertretern. Ich habe die Unterlagen im Museum, wenn Sie es überprüfen wollen.»
In der Leitung klickte es, und dann war plötzlich eine andere Stimme zu hören. Eine Frauenstimme. «Würden Sie das bezeugen?», fragte sie etwas schläfrig. «Unter Eid?»
«Wer ist da?»
«Das spielt keine Rolle», erwiderte Viktor. «Beantworten Sie einfach die Frage.»
«Ja», sagte Edouard. «Ich werde es unter Eid bezeugen.»
«Gut», sagte die Frau. «Dann haben Sie freie Hand.»
«Danke», sagt Viktor. «Jetzt hören Sie zu, Edouard. Sie sprechen mit keiner Menschenseele darüber, nicht einmal mit Ihrer Frau. Sie tun nichts, was die Aufmerksamkeit auf Sie lenken oder Verdacht erregen könnte. Sie warten, bis wir in Aktion getreten sind. Bis Sie meine ausdrückliche Erlaubnis haben. Verstanden?»
«Werden Sie reingehen?», fragte Edouard.
«Vielleicht.»
«Wann? Wann werden Sie loslegen?»
«Sobald wir bereit sind.»
«Was ist mit meinem Sohn? Was ist mit …» Aber die Leitung war bereits tot. Er schaltete das Handy aus und steckte es
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