Waechter des Labyrinths
klapperten. «Aber mit Ihrem Verständnis sind Sie eher die Ausnahme als die Regel. Vor ungefähr vierhundert Jahren wäre das anders gewesen. Damals haben gebildete Menschen der westlichen Welt die griechische Darstellung der ägyptischen Vorreiterrolle allgemeinhin anerkannt.» Er drehte sich zu Knox um. «Die Europäer vergessen es gerne, aber nicht nur Amerika ist durch Sklavenarbeit reich geworden. Für die aufgeklärte Aristokratie Europas muss es doch höchst seltsam gewesen sein, Sklaven zu halten, meinen Sie nicht? Sie wollten sich als gut begreifen, so wie wir alle, haben aber ihre Mitmenschen zu Tausenden auf die Plantagen geschickt und zu Tode gepeitscht, nur weil sie die falsche Hautfarbe hatten. Da ist der Gedanke, dass Afrikaner ihnen ebenbürtig oder sogar überlegen sind, natürlich unerträglich gewesen. Also haben sie das Nächstliegende getan und die Geschichte so umgeschrieben, dass Afrika darin nicht mehr vorkommt. Und in diesem Zusammenhang muss man auch meine geliebte dorische Wanderung sehen: Es ist nur eine von vielen Theorien, die weiße Menschen erfunden haben, um die klassische griechische Geschichte als einen Triumph des weißen Mannes darzustellen.»
Knox schaute ihn neugierig an. Er hatte das Gefühl, dass es in Franklin unter der Oberfläche brodelte. «Nur weil eine Theorie ihre Mängel hat, kann man ihr keine Böswilligkeit unterstellen», bemerkte er.
«Ich sage Ihnen nur, was ich damals gedacht habe», entgegnete Franklin, aber es klang nicht sehr überzeugend. «Ich war ein junger Mann, der seine kurze akademische Laufbahn einer Theorie gewidmet hat, nur um zu entdecken, dass sie falsch ist. Kein Wunder, dass ich ein wenig verbittert war. Aber so eine Götterdämmerung ist auch unglaublich berauschend, oder? Man möchte seine neue Erkenntnis jedem mitteilen, der einem zuhört, und zwar nicht immer auf die einfühlsamste Art und Weise.» Er hielt inne, während sie über eine schmale Holztreppe in den Vorhof des Museums von Eleusis gingen, in dem der Konferenzpavillon errichtet worden war. «Also machte ich es mir nicht nur zur Aufgabe, die herkömmlichen Theorien anzufechten, sondern wollte auch zeigen, warum sie überhaupt erfunden worden waren und warum sich einige meiner Kollegen ungeachtet der Beweislage mit einer solchen Hartnäckigkeit daran festklammerten.»
Knox hob die Augenbrauen. «Sie haben ihnen Rassismus vorgeworfen?»
«Rassismus, Kolonialismus, Imperialismus, mangelnde Bildung.» Er lachte reumütig auf. «Das mit der mangelnden Bildung hat sie natürlich am meisten getroffen.»
«Und wie ging’s dann weiter?», fragte Knox, öffnete die Tür zum Pavillon und folgte ihm in die kühle Dunkelheit.
Franklin drehte sich mit einem charmanten Lächeln zu ihm um. «Unerwartet», meinte er.
SECHZEHN
I
Gaille schenkte sich in der Küche der Taverna eine Tasse frisch gebrühten Kaffee ein und schaute sich ein wenig um. An den Wänden hingen wahllos gerahmte Fotos von Marmelade und getigerten Katzen. Im Esszimmer entdeckte Gaille ein Regal mit seichter Lektüre, alte Magazine, Romane von P. G. Wodehouse sowie Thriller mit vergilbten Seiten und grellen, halbzerfledderten Covern. Sie zog eine Marie Claire hervor und nahm sie samt der Kaffeetasse und einer Packung Kekse mit auf die Dachterrasse. Im Schatten einer großen Konifere setzte sie sich auf einen Stuhl. Hin und wieder hörte sie Wortfetzen von Iains Telefonaten. Sein Ton war abwechselnd schmeichelnd, humorvoll und streng, doch schon bald überfiel Gaille eine tiefe Müdigkeit, und sie nickte ein. Erst als Iain plötzlich auf dem Dach auftauchte, fuhr sie erschrocken hoch. «Ach, hier bist du!», sagte er, als hätte er sie schon seit Stunden gesucht.
«Tut mir leid», sagte sie. Die Sonne stand inzwischen über den Bäumen, sodass sie ihre Augen mit einer Hand abschirmen musste, als sie zu ihm hochschaute. «Ich habe letzte Nacht nicht viel geschlafen.»
«War nur Spaß», meinte er lächelnd. «Ich habe gesehen, wie du hochgegangen bist. Ich hätte dich schlafen lassen, aber ich habe schon ein bisschen was erreicht und dachte, das würde dich interessieren.»
«Phantastisch!»
«Zuerst die schlechten Nachrichten. Die hiesigen Behörden wissen nichts über diesen Petitier. Was auch kein Wunder ist, so wie die hier arbeiten.» Er aß einen Keks und fuhr dann fort. «Aber da du meintest, er sei Archäologe gewesen, hatte ich eine Idee. Ich habe seinen Namen in unsere Datenbank gegeben, und weißt du was?
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