Waechter des Labyrinths
gewesen war, hatte für den Mord an Petitier ein stichhaltiges Alibi, denn die Fahrt zum Hotel in Athen dauerte gut vierzig Minuten. Doch jeder, der nicht anwesend war, hätte etwas zu erklären, besonders wenn …
Plötzlich wurde sein Name aufgerufen. Knox sah, wie Nico ihn zu sich winkte. Höflicher Applaus kam auf, der lauter wurde, als Knox zum Podium ging und Nico die Hand schüttelte. Er stellte sich hinter das Rednerpult und überprüfte das Mikrophon und den Teleprompter.
In all den Jahren, seit Knox Augustin kannte, hatte er seine Freundschaft als selbstverständlich betrachtet. Das war einfach so bei Menschen wie Augustin, die nie viel Aufhebens darum machten und nie etwas im Gegenzug verlangen. Knox sah ihn plötzlich vor sich, wie er mit angeschwollenem Gesicht und gebrochenem Schädel auf der Intensivstation lag und um sein Leben kämpfte. Gleichzeitig hatte er das intensive Gefühl, dass er hier im Pavillon anwesend war und ihn in diesem Moment mit sardonisch verschränkten Armen beobachtete, so als wollte er sich vergewissern, dass Knox ihm gerecht wurde. Und plötzlich bekam dieser Vortrag, den Knox als lästige Aufgabe betrachtet hatte, um sich bei Nico dafür erkenntlich zu zeigen, dass er ihn aus dem Gefängnis geholt hatte, einen völlig anderen Aspekt. Augustin hatte ganz locker darüber gesprochen, aber dieser Vortrag war seine Chance gewesen, sich außerhalb von Alexandria zu beweisen, und er hatte wie besessen daran gearbeitet. Unzählige Male hatte er ihn umgeschrieben und ihn dann unendlich oft geprobt. Und jetzt lag er auf der Intensivstation, und sein Vortrag – so brutal das auch klingen mochte – konnte sich als sein Vermächtnis erweisen. Knox war es ihm schuldig, es so gut wie möglich zu machen.
Vor einigen Monaten hatte es vor der Küste von Alexandria ein Erdbeben gegeben. Wie meistens war es nicht schlimm gewesen, etwas Putz war abgebröckelt, ein paar Dächer hatten gewackelt, und die Menschen hatten sich nervös angelächelt, als sie aus ihren Häusern geeilt waren. In einem alten Wohnhaus über den Nouzha-Gärten hatte das Beben einen Riss erzeugt. Eine Woche später hatte die Fassade des Gebäudes geknirscht und war dann einfach in sich zusammengefallen. Als das Haus schließlich abgerissen wurde, hatte ein Bulldozer eine unterirdische Kammer freigelegt. Die Antiquitätenbehörde in Alexandria hatte Augustin hinzugezogen, und der wiederum hatte Knox und Gaille um Hilfe gebeten.
Jetzt zeigte Knox auf einer riesigen Leinwand die zusammengeschnittenen Höhepunkte von Gailles Aufnahmen dieser ersten Untersuchung, die Bilder, die sie gemacht hatte, als die drei über den Dreck und den Schotter in die Kammer geklettert waren. Das dunstige weiße Flackern der Scheinwerfer strich über die loculi und den Boden, gelegentlich waren menschliche Knochen und eine Tonscherbe zu erkennen. Knox sagte nichts und ließ die Aufnahmen einfach wirken. Es war eines der großartigen Privilegien der Archäologie, solche Stätten nach Hunderten oder gar Tausenden von Jahren zum ersten Mal betreten zu dürfen. Doch schließlich spürte er, dass der Moment gekommen war. «Sie sehen hier Alexandrias Viertel Eleusis», begann er. «Man spricht von den Eleusinischen Mysterien. Doch zumindest in Ägypten werden sie dank meines guten Freundes Augustin Pascal möglicherweise bald nicht mehr so mysteriös sein.»
IV
Sie entdeckten Knox’ Citroën auf dem Kopfsteinpflaster vor dem Eingang der antiken Stätte. Nicht weit davon entfernt fuhr Edouard rückwärts in einen Parkplatz und ging dann mit Zaal hinüber zum anderen Mercedes, aus dem gerade Boris und Davit stiegen. Summend senkte sich die hintere Fensterscheibe; Michail winkte sie von drinnen zu sich heran. Sie gingen zu ihm. Michail hatte seine Hose heruntergezogen, und Edouard sah mit Entsetzen, dass das Gesicht der Nutte in seinem Schoß vergraben war. «Ja, Chef?», fragte Zaal, ohne mit der Wimper zu zucken. «Was jetzt?»
Michail zeigte zu einem nahegelegenen Café am Rande des Parkplatzes. «Wartet dort auf mich», sagte er. «Bestellt mir einen Kaffee und einen Ouzo. Ich bin gleich da.» Das Fenster fuhr wieder hoch.
Sie setzten sich an einen Ecktisch mit Blick auf den Eingang und die Autos. Fasziniert beobachtete Edouard, wie Michails Mercedes hin- und herzuschaukeln begann und wie die Passanten geschockt auf das Schattenspiel hinter den getönten Scheiben reagierten. Dass man seine gesamte Umwelt völlig missachten konnte und am
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