Wächter des Mythos (German Edition)
haben, um sich offiziell bei der Tochter des armen Opfers zu entschuldigen: Es zeuge von der tiefen Anteilnahme und hilfsbereiten Großherzigkeit des Papstes.
Sandino war froh, als der Empfang vorüber war. Nach dem langen Flug von Rom war er nun hundemüde und hatte nur noch den Wunsch, sich zurückzuziehen. Als er endlich in seinem Zimmer war, saß er eine Weile mit bleiernem Körper im Sessel und versuchte, seine Gedanken zu ordnen, um die neue Aufgabe am nächsten Morgen überlegt anzugehen. Der Papst war ja zu Recht aufgebracht, denn durch den Mord in Basel drohte der Kirche internationaler Schaden und der Skandal weitete sich innerhalb des Vatikans immer mehr aus. Nur wegen des Papstes hatte die scheinfromme Inquisition nachgegeben und ihn gebeten, sich mit dieser Angelegenheit zu befassen.
»Unser Problem ist«, hörte er Kardinal Walter sagen, »dass der Heilige Vater eine gründliche Untersuchung der Sache wünscht, es andererseits aber wegen bestimmter Verstrickungen ablehnt, die Glaubenskongregation damit zu beauftragen.« Stockend hatte er noch leise hinzugefügt: »Ich fürchte er war anscheinend der Meinung, dass die Reinheit der Heiligen Kirche von dem Frevel einiger Mitglieder belastet wurde.«
Doch die dürftigen Informationen des Kardinals brachten Sandino nicht weiter, noch ergaben sie einen klaren Sinn. Nachdenklich lehnte er sich in seinem Sessel zurück und ließ seinen Gedanken freien Lauf.
Also, um was ging es denn eigentlich? Um ein seltsames Dokument? Einen rätselhaften Kodex? Oder um irgendein beschämendes Geheimnis aus der Vergangenheit der Kirche? Mord war immer ein abscheuliches Verbrechen. Im Raum der Kirche wog Mord wegen des Vertrauensverlusts jedoch besonders schwer. Warum hatte man diesen Killer auf Dr. Andreas Bernard angesetzt?
Seine Eminenz, Josef Kardinal Walter, war offenbar der Meinung, die Inquisition müsse sich mit bestimmten Angelegenheiten nach bewährtem Muster befassen. Sie warfen heute zwar keine Ketzer mehr auf den Scheiterhaufen, doch hetzten sie ihre Otterngezüchte wie diesen Schlächter auf sie. Was also die Glaubenskongregation des Kardinals betraf, so gefielen ihm weder der alte noch der vermeintlich neue Stil.
Er stand auf, nahm die Akte über Dr. Bernard hervor und sah sich erneut den von ihm zuletzt verfassten Artikel an. Dabei fiel Sandino die Abbildung des Kelches auf, insbesondere die eingravierten Zeichen. Ohne zu zögern griff er zum Telefonhörer, wählte die Nummer des Rechenzentrums des Geheimarchivs in Rom und hatte wenig später seinen Freund, Padre Vincente Casares, am Apparat, der ihn erfreut begrüßte.
»Schlechte Zeiten«, seufzte Sandino als Antwort auf die Frage nach seinem Befinden. »Ich habe schon zu viel Blut innerhalb der römischen Kurie zu läutern versucht, doch nicht bei allen ist mir das gelungen. Jedenfalls ist der hiesige Nuntius wegen alter Kompetenzstreitigkeiten nicht gerade gut auf mich zu sprechen.«
»Darüber mach’ dir mal keine Sorgen«, meinte Vincente dazu. »Der Nuntius ist ein vernünftiger Mann und wird zum Wohle der Kirche über seine persönlichen Abneigungen hinwegsehen. Doch so, wie ich dich kenne, hast du in Wirklichkeit etwas anderes auf dem Herzen, hab’ ich recht?«
»Das stimmt«, erwiderte Sandino und schilderte ihm sein Anliegen.
»Also, ich weiß nicht …«, erwiderte Vincente zögernd am anderen Ende der Leitung, nachdem er aufmerksam zugehört hatte. »Das wird kompliziert. Es ist eine Sache, dem Computer Wörter vorzugeben, damit er in sämtlichen Datenbanken nach ihnen sucht, aber es ist etwas ganz anderes, Bilder oder Zeichen eines Gegenstandes abzugleichen. Doch wir können die Zeichen in Koordinaten umwandeln und es damit versuchen, das kann aber eine ganze Weile dauern.«
»Ich wäre dir sehr dankbar, wenn ich das Resultat sobald als möglich erhalten könnte.«
»Ich werde mein Möglichstes tun. Da fällt mir ein, dass wir ein Programm haben, das die Pixel von Graustufen-Bildern in Koordinaten umrechnet. Ich werde mich in einer Stunde bei dir melden.«
Sandino lehnte sich entspannt zurück und ließ sich Verschiedenes durch den Kopf gehen. Er verstand das alles nicht. Den Fakten nach war dieser Priester doch nichts anderes als ein mieser Auftragskiller der Kongregation für Glaubenslehre. Und genau so etwas durfte sich die Kirche heutzutage nicht mehr erlauben, wollte sie in der Gegenwart bestehen. Aber diese Vorfälle waren nun wirklich jenseits des guten Glaubens. Doch
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