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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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Kostbares.
    »Ich möchte ihn aber trotzdem kennenlernen. Darum komme ich so gegen fünf nach Hause«, verkündete sie und schloss die Tür im Gehen.
    Eine Sekunde später, als ich gerade mit dem Aufräumen anfangen wollte, kam sie wieder hereingerannt. »Mom, kannst du mich bitte in die Stadt fahren?« Ihr Käfer sprang nicht an.
Als ich wieder nach Hause kam, war David schon da – zu früh. Das Haus war ein Saustall. Mein Herz klopfte, und ich hörte mich selbst ausatmen, als ich aus dem warmen Auto in die Winterkälte trat. David stand neben dem »Kleinen Ahorn«, einem Baum, den ich vor achtzehn Jahren in unseren Vorgarten gepflanzt hatte, als Gegenstück zum »Alten Ahorn«, einem edlen Giganten, der im Garten hinter dem Haus wuchs.
    Wir starrten uns an, bevor ich auf ihn zuging. Wir waren beide beklommen und unsicher. Er wirkte älter, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Er sah aus wie Yussuf.
    »Hallo, Amal.«
    »Hallo … David.« Seit dreiundfünfzig Jahren war er nicht mehr Ismael gewesen.
    Im Haus räumte ich als Erstes den Staubsauger aus dem Weg. Ich entschuldigte mich für die Unordnung, so wie immer, wenn Gäste da waren, selbst wenn ich vorher stundenlang geputzt hatte.
    Er lächelte ein wenig. »Das ist nicht schlimm. Ich habe sowieso nicht viel Zeit. In ein paar Stunden kommt ein Taxi, um mich abzuholen.«
    »Mir war nicht klar, dass Sie schon so früh wieder gehen müssen«, antwortete ich in idiotisch lässigem Ton. Ich wusste nicht, wie ich mich geben oder was ich sagen sollte. Wir plauderten auf gezwungene Art, als wollten wir die Gräben ausfüllen, die sich zwischen uns auftaten. Sein Flug war unspektakulär gewesen, bis auf die Tatsache, dass sein Sitznachbar geschnarcht hatte. Das hatte er »ein bisschen unangenehm« gefunden, und die Wegbeschreibung zu meinem Haus war genau genug gewesen. »Gut.« Er erzählte, er sei schon ein paar Mal geschäftlich in New York gewesen, aber dies sei seine erste Reise nach Pennsylvania. Was er bis jetzt gesehen hatte, gefiel ihm. Ich fragte ihn, was er beruflich machte. »Ich bin Ingenieur.
Langweilig.« Wo ich arbeiten würde? »Bei einer Pharmafirma. Langweilig.« Wir hatten beide Kinder. Nein, das gibt’s ja nicht. »Eine Tochter, Sara.« Er hatte zwei Söhne, Uri und Jakob. Er war geschieden. »Das tut mir leid.« Er fragte: »Und wie ist es mit Ihnen?« Mit mir? »Das erzähle ich ein anderes Mal. Gefällt Ihnen Philadelphia?« Verdammt, das habe ich ihn doch schon gefragt.
    Er strich sich langsam über die Haare, als wollte er die Fassade aus Small Talk wegwischen, die wir beide vor uns aufgebaut hatten. Dieses oberflächliche Gerede hatte er nicht erwartet. Ich auch nicht.
    Davids Blick schweifte durch mein Haus und blieb auf einem restaurierten Gemälde hängen, das die Gründer von Ein Hod zeigte, die sich schon zu Zeiten des Byzantinischen Reichs dort angesiedelt hatten. Der Legende nach hatte Sultan Saladin persönlich einem seiner Generäle das Land als Anerkennung für seine Dienste geschenkt. Dieser General war einer meiner Urahnen. Er hatte drei Frauen, und fast das ganze Dorf stammte von ihm ab.
    »Das ist unsere Urgroßmutter«, erklärte ich und deutete auf die sepiafarbene Fotografie einer lächelnden jungen Frau. Sie trug eine bestickte Thoba und einen weißen Schleier, den sie lose um ihr atemberaubend schönes Gesicht gelegt hatte. »Sie hieß Salma Abulhija und war so hübsch, dass neugeborene Mädchen aus dem Dorf oft nach ihr benannt wurden«, erzählte ich ihm.
    Schweigend bestaunte er den Beweis dessen, was die Israelis schon wissen: dass ihre Geschichte ein Sammelsurium aus uralten palästinensischen Traditionen darstellt. Die Europäer, die ankamen, kannten weder Hummus noch Falafel, bezeichneten beides aber als »echte jüdische Küche«. Sie behaupteten, die Villen von Katamon seien »alte jüdische Häuser«.
Sie besaßen keine alten Fotografien oder Zeichnungen, die zeigten, wie ihre Vorfahren das Land bestellten. Sie kamen aus fremden Ländern und gruben Münzen aus der Erde Palästinas, von den Kanaanitern, den Römern und den Osmanen, und verkauften sie dann als »antike jüdische Artefakte«. Sie kamen nach Yaffa, entdeckten Orangen so groß wie Wassermelonen und riefen: »Seht! Die Juden sind berühmt für ihre Orangen.« Aber diese Orangen waren das prächtige Ergebnis jahrhundertelanger palästinensischer Obstbautradition.
    David streckte die Schultern und räusperte sich. Er wusste, dass die improvisierte

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