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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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» Du hast das Baby gedreht, Amal.« Sie lächelte voller Stolz, kam auf mich zu und küsste mich auf die Stirn.
    Wie hatte ich diesen Tag vergessen können? Und warum musste ich jetzt daran denken, als Mama gestorben war? Dalia hatte mich geliebt. Wie hatte ich je daran zweifeln können?
    »Allahu akbar.« Der Leichenzug endete mit Mamas Beerdigung – das war der Lebensausklang meiner Mutter, des einst so feurigen Beduinenmädchens, dessen Schritte geklimpert hatten.
    Wie es dem Brauch entsprach, trauerten die Frauen und die Männer in getrennten Räumen. Aber Ammu Darwish blieb ganz allein. Ich traf ihn am Friedhof, wo er in seinem Rollstuhl saß und sich seinem Schmerz hingab.
    Auch Ammu Jack O’Malley war traurig. »Ich habe deine
Mum kennengelernt, als sie noch ein junges Ding war. Damals war sie ganz verzweifelt wegen ihres verlorenen Jungen«, erzählte er mir. »Sie war eine gute Frau. Und dein Vater war ein guter Mann. Es tut mir so leid, Amal. Al baqiyah fi hayatik.«
    Jack nahm das Leben, wie es gerade kam. Aufgrund seiner spontanen Art hätte man ihn für einen einfachen Mann halten können – tatsächlich war er klug und sehr gebildet. Vor allem seine Ehrlichkeit und Integrität waren es aber, die ihn sowohl bei den Palästinensern als auch bei den israelischen Besatzern so beliebt machten.
    Für uns war Jack ein irischer Palästinenser, der einmal im Jahr seine Tochter in Dublin besuchte und während des restlichen Jahres zusammen mit uns im Elend lebte. Er sprach Arabisch, so wie er auch Englisch sprach: mit dieser irischen Sprachmelodie, die jeden Satz wie eine Frage klingen lässt.
    »Hallo, Liebes«, sagte er zu mir, nur wenige Tage nach Mamas Begräbnis. »Komm später zu deinem Ammu, wir müssen was mit dir besprechen, ja, Liebes?« Er sprach Englisch mit mir. Zu Beginn wollte er überprüfen, ob meine Fremdsprachenkenntnisse wirklich so gut waren, wie meine Lehrerinnen ihm berichtet hatten. Später war sein Anliegen, mit mir zu üben.
    »Dein Englisch wird ahsan , nicht wahr?« Oft mischte er die beiden Sprachen auch.
    »Ja, mein Englisch wird besser.«
    »Gut!« Dann lachte und hustete er.
    Aber was ging vor im Haus meines Onkels? Warum wollten sie mit mir reden? Und wer waren »sie« überhaupt? Was immer los war, ich fürchtete mich davor. Und ich hatte allen Grund dazu. Ich war vierzehn, hatte weder Vater noch Mutter, noch Bruder, noch Schwester. Ich war arm und fromm. Alles zusammen bedeutete, ich war reif zum Heiraten.

    Die nächsten Stunden verbrachte ich damit, mir große Sorgen zu machen. Ich überlegte mir, wie ich einer Verheiratung entkommen konnte, denn ich hatte Angst davor, mich meinem zukünftigen Mann in meiner ganzen Entstelltheit zeigen zu müssen. Ich dachte sogar daran wegzulaufen. Aber vor einem solchen Fehlverhalten schreckte ich schließlich doch zurück. Außerdem: Egal, wohin ich rennen würde, ich würde den israelischen Soldaten und Siedlern direkt in die Arme laufen. Israel hatte schon damit begonnen, sich weiteres Land einzuverleiben und rein jüdische Siedlungen darauf zu errichten, direkt neben den kulturellen Zentren der Palästinenser. Darum wollte ich lieber Geisteskrankheit oder einen Haufen anderer Gebrechen vortäuschen.
    Als der Abend kam, war ich erschöpft und fügte mich schon beinahe in die Niederlage, die ich kommen sah. Huda und ich gingen händchenhaltend zum Haus von Ammu Darwish. Sie wartete draußen auf mich, während ich ängstlich durch die eiserne Tür schlich und in den unüberdachten Raum trat, in dem mein Onkel, Haj Salim und Ammu Jack O’Malley auf Kissen saßen. Sie schienen sich nicht an den herumlaufenden Hühnern zu stören. Sie rauchten Wasserpfeife und tranken Qahwa aus winzigen Tassen – wie es der Respekt vor den Toten verlangte, verzichteten sie auf Zucker. Der Qahwa wurde genauso bitter getrunken, wie der Tod Mamas für uns alle war. Ich lief barfuß, aus Gewohnheit. Inzwischen waren meine Füße mit Hornhaut bedeckt, und wenn die Leute mich sahen, fragten sie: »Wo sind deine Schuhe, Kind?« Diese Ermahnung klang gleichzeitig mitfühlend und verächtlich. Sie fanden anscheinend, dass mir die elterliche Hand fehlte.
    »Zieh die Schuhe aus und setz dich zu uns«, sagte jemand, bevor er bemerkte, dass ich gar keine trug. Langsam ging ich über den gepflasterten Boden. Es war dunkel, und im Lichtschein
der beiden Laternen flogen Motten und Stechmücken im Kreis umher.
    Aus dem Augenwinkel sah ich, dass jemand mit ausgestreckten

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