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Während die Welt schlief

Während die Welt schlief

Titel: Während die Welt schlief Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susan Abulhawa
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nächsten Tage brachte Angela mir bei, darauf zu fahren. Weil ich mir in dem großen Bett verloren vorkam, griff ich nach der Vergangenheit: Ich strich mit der Hand über die geschundene Haut meines Bauches. Geborgen inmitten von Luxus stand ich an der Schwelle einer Welt, die Verheißung versprach, aber auch Unsicherheit in sich barg. Mein neues Leben begann. Aber die Vergangenheit
war noch immer bei mir, genau wie die Narbe unter meiner Hand.
    Ich streifte durch Philadelphia und erlebte den Kontrast zwischen Arm und Reich. Ein verzweifeltes Lächeln klebte mir im Gesicht. Ich konnte keine Gemeinsamkeit zwischen mir und den Männern und Frauen erkennen, die zielstrebig und selbstbewusst an mir vorbeischritten, aber genauso wenig konnte ich mich mit den menschlichen Wesen identifizieren, die sich zum Schlafen auf die Bürgersteige gelegt hatten. Ich staunte, während diese coolen Amerikaner ihren alltäglichen Verrichtungen nachgingen. Sie kauften Lebensmittel ein, marschierten zur Arbeit, aßen erlesene Speisen und unterhielten sich in Straßencafés. Ich fühlte mich furchtbar klein und fehl am Platze, dabei wollte ich doch so gerne dazugehören.
    Angela half mir mit dem einschüchternden Papierkram, den ich verstehen und ausfüllen musste, bevor ich mein Studium an der Temple University aufnehmen konnte. Ich hatte noch nie so viele Formulare gesehen: Krankenversicherung, Anmeldung für die Bibliothek, Studentenausweis und so weiter. Aber als die Kurse begannen, war ich so weit, und Angela half mir wieder, als ich ins Studentenwohnheim umzog.
    Elana Rivers, eine Studentin mit üppiger Oberweite, die immer zu Scherzen aufgelegt war, fragte unsere Hausmutter, ob es ein Formular zur Anmeldung ihrer Titten gebe. Schon nach ein paar Monaten hatte sie den Ruf weg, leichte Beute für die älteren Semester zu sein. Deswegen wurde sie auf die »richtigen« Verbindungspartys eingeladen. Frühmorgens torkelte sie oft mit viel Gepolter in unser Wohnheim zurück. Sie versuchte erst gar nicht, mit mir ins Gespräch zu kommen, dafür bezeichnete sie mich gerne als »die Araberin« oder »die Kameltreiberin«.

    Eines Abends bekam ich mit, wie sie im Flur ihre Spielchen mit einem sabbernden Pizzaboten trieb. Elana rekelte sich lasziv vor ihm, und er stand da wie vom Donner gerührt, den Mund halb offen. Als ich an ihnen vorbeiging, konnte ich mir ein Kichern nicht verkneifen. Da drehte sie sich zu mir um und brach in Gelächter aus. »Oh Gott! Die Araberin findet das komisch. « Sofort errötete ich, und als Elana auf mich zukam, fand ich gar nichts mehr komisch. »Hast du überhaupt schon mal Sex gehabt?«, fragte sie mich von oben herab.
    Ich erstarrte. Ich hatte ja noch nicht einmal geküsst. Zum Glück hörte ich dann eine angewiderte Stimme hinter mir rufen: »Verdammt, Elana! Kannst du denn nie aufhören?«
    Es war Kelly Manson, eine Medizinstudentin, die ich aus den naturwissenschaftlichen Kursen kannte. »Was denn? Wir unterhalten uns doch nur gepflegt«, entgegnete Elana. Aber Kelly brachte mich aus der Schusslinie und postierte sich mutig vor Elana. Von da an belästigte sie mich nie wieder.
    Bis auf ein gelegentliches Mittagessen mit Kelly hatte ich keine freundschaftlichen Kontakte. Ständig hatte ich Termine und Veranstaltungen und war doch isoliert. Mein Akzent war ein soziales Hindernis, jedenfalls in meinen Augen. Also unternahm ich kaum etwas, außer Lernen und Fahrradtouren quer durch die ganze Stadt. Wenn ich doch einmal versuchte, irgendwo mitzumachen, trat ich meistens unbeholfen auf und wurde ignoriert oder arrogant behandelt. So blieben mir nur die Bücher, und der Lohn dafür war ein glatter Einser-Durchschnitt, sowohl im Herbst- als auch im Frühjahrssemester.
    Irgendwann wusste ich dann, wo ich hingehörte: Ich wurde Teil eines kleinen Freundeskreises. Bis zum Abschluss teilten wir uns ein Haus. Es war ein heruntergekommenes, dreistöckiges Reihenhaus, das wir während unseres dritten Collegejahres
immer nur »das Klohäuschen« nannten, nachdem eines Tages die Toilette verstopfte und überlief.
    Ich studierte fleißig. Das bedauernswerte palästinensische Mädchen, das ich gewesen war, verschwand, weil ich unbedingt im Westen dazugehören und ernst genommen werden wollte. Ich interessierte mich nicht mehr für die Probleme der Welt und richtete mich bequem in meinem amerikanischen Dasein ohne Vergangenheit ein. Zum ersten Mal überhaupt lebte ich ohne die Bedrohungen und Ablagerungen des Krieges. Ich

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